In der Nähe von Waitzdorf soll sich vor 320 Jahren ein blutiges Liebesdrama abgespielt haben. Es endet mit einem Sensenduell. Unterwegs auf den Spuren einer Legende. Ein Wandertipp.

Im Dorfgrund herrscht eine fast schwermütige Stille. Es ist Spätherbst, die ersten Bäume werden kahl. Ein Teppich aus welkem Laub bedeckt den Boden. Man geht gedämpften Schritts über die vielen unsichtbaren Stufen, die hinauf nach Waitzdorf führen – und hinunter zum Ort des Blutbads. Wie oft mag sie diesen Weg gegangen sein? Alleine, still und heimlich. Mit gebrochenem Herzen und schweren Schuldgefühlen. Damals, vor 320 Jahren.

Im Vordergrund ist ein flauschiger Löwenzahn scharf zu erkennen, im Hintergrund unscharf ein Teich, üppiges Grün und ein charmantes Fachwerkhaus unter einem sanften, sonnenbeschienenen Himmel.©: H.Landgraf
Ein schwach beleuchtetes Bild eines kleinen Baums mit grünen und gelben Blättern. Die Umgebung ist dunkel mit einem kaum sichtbaren Hintergrund, was eine geheimnisvolle und schattige Waldatmosphäre erzeugt.©: H.Landgraf
Ein mit Moos bedeckter alter Grabstein ist teilweise von Grün in einer Waldlandschaft verdeckt. Die sichtbare Gravur lautet „Gemu. Wilzdorf“, was darauf schließen lässt, dass der Grabstein eine historische oder bedeutende Stätte in der Gegend markieren könnte.©: HLandgraf

Es ist eine alte und traurige Geschichte. Sie handelt von Sehnsucht und verlorener Unschuld. Von zwei Männern, die zu Feinden wurden. Von einem Zweikampf auf Leben und Tod. Im Mittelpunkt des Dramas steht, wie so oft, eine Frau. Schauplatz ist Waitzdorf.  Ein kleiner, verträumter Ort unweit von Hohnstein am Rand der Sächsischen Schweiz. Bunte Fachwerk- und Umgebindehäuser. Sonnige Vorgärten. Stockrosen und Pusteblumen. Vogelhäuschen, in denen sich die Meisen tummeln. Ăśber die HĂĽgel am Ortsausgang zottelt friedlich eine Herde Galloway-Rinder. Eine Hobbitsiedlung im besten Sinn – schläfrig, lieblich, aufgeräumt. Nicht gerade der Stoff, aus dem Legenden sind.

Doch es gibt ihn. Der Heimatforscher Wilhelm Leberecht Götzinger erwähnt es bereits 1812 in seiner „Beschreibung der Sächsischen Schweiz“: das blutige Duell im Tiefen Grund. Zwei Bauernburschen, beide tüchtig und lebenslustig – gute Freunde seit der Kindheit – und hoffnungslos verliebt in dieselbe Frau: eine schöne Husarentochter aus Waitzdorf. Beide wetteifern um die Gunst des Mädels. Sie – kann sich nicht entscheiden. Beim Tanz am Kirmestag gerät die Sache schließlich außer Kontrolle. Sie werde denjenigen heiraten, der den größeren Mut zeigt, soll die Maid ausgerufen haben. Es kommt zum blutigen Zweikampf: dem legendären Sensen-Duell im Tiefen Grund. Der Sage nach sollen die beiden Bauernburschen im besten Zwirn auf der Wahlstatt erschienen sein. Auf dem Kopf trug jeder einen Strohhut mit bunten Bändern, die ihnen das Mädel einst geschenkt hatte. In der Hand eine nagelneue Sense. Damit schlagen sie aufeinander los. Für einen endet die Sache tödlich. Der andere flieht in die weite Welt. Jahre später soll er noch einmal nach Waitzdorf zurückgekehrt sein. Er trank ein Bier in der Schänke und ging zum Haus der Husarentochter. Sie lebte noch dort – einsam und zerbrochen vom Leid. Ihre Schönheit war verfallen wie welkes Laub. Der Bursche machte auf dem Absatz kehrt und wurde nie wieder gesehen.

Eine Person in einer roten Jacke und türkisfarbenen Hosen beobachtet eine Wegmarkierung, die auf eine moosbedeckte Felswand entlang eines Waldweges gemalt ist. Die Szene spielt in einem Waldgebiet im Herbst, auf dem Boden liegen abgefallene Blätter. Der Weg grenzt links an eine niedrige Metallbarriere.©: H.Landgraf
Eine Person in einer roten Jacke sitzt auf einer Bank auf einem Felsvorsprung und blickt auf eine weite Landschaft mit Hügeln und Wäldern unter einem bewölkten Himmel. Auf der rechten Seite ist ein Ast zu sehen, der die Szene teilweise einrahmt.©: H.Landgraf

Man kann sich auf die Spuren dieser Geschichte begeben: Vom Parkplatz an der Frinzthalmühle bei Porschdorf führt ein lauschiger Pfad immer am Bach entlang den Tiefen Grund hinauf, bis zu den Brandstufen. Dort geht´s geradeaus weiter, ein Stück auf der Straße. Wenig später erreicht man den Ort, an dem die Liebesgeschichte damals ihr blutiges Ende fand. Wo der Wanderweg den Tiefen Grund verlässt und in den Dorfgrund nach Waitzdorf einbiegt, führt die Straße nah an einem auffälligen Felsen vorbei. Eine mit weißer Farbe nachgemalte Sense ist dort in den Stein geschlagen. Rechts daneben ist ein Kreuz in die Wand geritzt und eine Jahreszahl – 1699.

Im Ort ist diese Geschichte bis heute lebendig geblieben, sagt Corina Knopf – die Wirtin der Waitzdorfer Schänke. „Alle kennen sie, sie wird sogar in der Schule behandelt.“ Auch in der Speisekarte des urigen Gasthofs findet sich eine Anmerkung dazu. Die Schänke ist älter als die Sage. Schon im späten Mittelalter wird sie erstmals erwähnt. Das Haus muss zum Ausgang des 19. Jahrhunderts neu errichtet werden, anstelle des alten abgebrannten Hofs. Die Vorstellung, dass die beiden Sensen-Freunde hier in fröhlicher Eintracht so manchen Krug Bier miteinander geleert haben mögen, begleitet einen für den Rest des Weges.

Man kann von der Schänke noch ein Stück um die südlich vom Dorf gelegenen Wiesen herum Richtung Ochelwände weiterwandern und erreicht nach zehn Minuten den vielleicht romantischsten Aussichtspunkt im gesamten Elbsandsteingebirge. Dazu muss man wissen, dass es an der Talkante zum Tiefen Grund mehrere schöne Blicke unter dem Sammelbegriff Waitzdorfer Aussichten gibt. Selbst im Ort gehen die Ansichten auseinander, welche die eigentliche ist. Am bekanntesten dürfte der vom Dorf gesehen zweite Aussichtspunkt am Michaelistagstein sein – zumindest als Fotomotiv. Ein paar Treppen führen hinauf, eine einsame Bank steht oben, von der man weit in die Runde blicken kann – von den Zschirnsteinen über die linkselbischen Tafelberge bis zu den Weißen Brüchen bei Rathen.

Jetzt im Herbst ziehen des Ă–fteren Nebel um die gegenĂĽberliegenden Tafelberge und packen ihre Flanken in weiĂźe Watte. Dann sitzt man hier oben wie auf einem Logenplatz und hat die Welt auf dem Tablett vor sich liegen. Und es gibt wohl auch keinen besseren Ort, um eine Weile still und fĂĽr sich allein ĂĽber den Sinn des ganzen Dramas nachzudenken. Warum Liebe manchmal in einem BlutvergieĂźen endet. Und sei es nur im Herzen.

Kurzbeschreibung:

Eine kurze, romantische Herbstrunde auf den Spuren einer traurigen Legende: Vom Parkplatz an der Frinzthalmühle geht´s den Tiefen Grund talaufwärts immer am Bach lang bis zu den Brandstufen, dann ein Stück die Straße weiter geradeaus, nach etwa 300 Metern, kurz hinter der „Sense“, rechts weg und dem Malerweg folgend durch den Dorfgrund nach Waitzdorf. Kurzer, knackiger Anstieg, für den man sich aber schon 15 Minuten später im gemütlichen Dorfgasthof belohnen kann. Von dort südlich um den Ort herum Richtung Ochelwände zur Waitzdorfer Aussicht (traumhafter Rundblick!). Anschließend gelangt man in einem weit ausladenden, aber gemütlichen Bogen über den Mühlweg und diesen bald wieder Richtung Talkante verlassend zum Abstieg über den Schandauer Berg und schließlich über den Ochelweg zurück in den Tiefen Grund.

  • Distanz ca. 8 Kilometer
  • 204 Höhenmeter
  • Wanderzeit insgesamt ca. 2:30 h (ohne Rast)
  • Charakter: Leichte Rundwanderung mit einem kurzen SteilstĂĽck in der Mitte.
  • Einkehrmöglichkeiten: „Waitzdorfer Schänke“, im Sommerhalbjahr täglich auĂźer dienstags geöffnet, im Winter jeweils Donnerstag bis Sonntag, 11 bis 16 Uhr.
  • Mit dem Auto: Ăśber Hohnstein Richtung Bad Schandau in den Tiefen Grund hinunter, dann links Abzweig nach Waitzdorf (kostenloser Parkplatz!). Talaufwärts von Bad Schandau kommend, ist die Zufahrt zurzeit wegen StraĂźenbauarbeiten gesperrt.
  • Ă–PNV: Bus-Linie Linie 235 von Hohnstein nach Waitzdorf. Fahrplaninfos: RVSOE

WeiterfĂĽhrende Tipps und Route zum Download:

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Ein Mann mit kurzen braunen Haaren und Bart steht im Freien und trägt ein dunkelblaues Hemd. Er lächelt leicht und blickt direkt in die Kamera. Der Hintergrund ist mit grünen und braunen Farbtönen verschwommen und lässt an Bäume denken.©: Hartmut Landgraf

Zum Autor

Hartmut Landgraf lebt und arbeitet als freier Journalist, Texter und Herausgeber des Online-Magazins SANDSTEINBLOGGER.DE in Dresden. Die Touren- und Reportage-Website hat ihren Schwerpunkt im Elbsandsteingebirge, ist thematisch aber auch in anderen Ecken der Welt unterwegs. 2016 war das Magazin Medienpartner des Deutschen Wandertages und wurde 2017 in Innsbruck mit dem traditionsreichen BergWelten-Journalismuspreis ausgezeichnet.

Fotos:
alle Bilder dieses Blogartikels © Hartmut Landgraf, SANDSTEINBLOGGER.DE

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