Ein Haus mit Geschichte, eine urige Gaststube mit Kamin oder Kachelofen, heimatliche Küche nach alten Rezepten, gemütliche Zimmer mit Blick in die Natur, und die gesamte Gastgeberfamilie ist irgendwie involviert: So stellt sich der Städter den klassischen Landgasthof vor. In der Sächsischen Schweiz gibt es zahlreiche Häuser, die dieser romantischen Vorstellung bis ins Detail entsprechen – und dennoch überraschen. Zum Beispiel diese vier:

Gasthaus am Zirkelstein

“Ehrlichkeit am Malerweg”

©: Marko Förster

»Hier, am Ende der Welt, auch noch auf der links elbischen Seite, muss man sich seinen Ruf erarbeiten«, sagt Olaf Ehrlich. Wir sitzen im frisch modernisierten Gastraum des Gasthauses Zirkelstein in Schöna. Das Restaurant hat noch geschlossen, doch aus der Küche klappert es schon lebhaft. Durch die Fenster können wir auf den Malerweg Elbsandsteingebirge schauen, der direkt am Haus vorbeiführt. Nur wenige Wanderer sind heute, einem regnerischen Vormittag im Mai, hier unterwegs.

Familie Ehrlich schreibt eine Geschichte fort, die vor über 250 Jahren begann. Damals, im Jahr 1870, eröffnete Karl August Hering die Dorfgaststätte »Zum Zirkelstein« auf einem ehemaligen Vierseithof. Seitdem wird das Haus praktisch ohne Unterbrechungen als Gasthaus betrieben. »Unsere Gäste schätzen das Individuelle, die Qualität und die Regionalität«, erklärt Dina Ehrlich, die ihren Mann in vielem, vor allem aber in der Buchhaltung und Organisation unterstützt. Milch und Käse aus Dorf Wehlen, Fisch aus Neustadt, Bier aus Lohmen, Geflügel aus Struppen: Was bei Ehrlichs auf den Tisch kommt, hat selten einen weiten Weg hinter sich. Gipfel der Regionalität ist der äußerst populäre, aber nur saisonal auf der Karte stehende Wildschwein-Burger. Das Fleisch dafür stammt aus den Wäldern ums Dorf. Die Pensionszimmer im Haus nutzen wanderbe- geisterte Paare gern für eine kleine Auszeit: einfach mal ein/zwei Tage die Ruhe genießen, verwöhnen lassen und wandern. Am Frühstückstisch werden dann die Pläne für den Tag geschmiedet. Dina und Olaf Ehrlich, die selbst im ersten Corona-Lockdown den gesamten Malerweg abgelaufen sind, steuern dazu gern den ein oder anderen Geheimtipp bei. Einen Ruf erarbeiten: Das haben Ehrlichs mit ihrem Haus längst geschafft.

Gasthof Hillig

»Die Geschichte lebt hier«

©: Marko Förster

»Gute Küche, Kaffee, Fremdenzimmer steht in Frakturschrift an der Fassade des Gasthofs Hillig am Markt in Bad Gottleuba. Das ist so direkt und bodenständig, wie es nur geht – und steht vermutlich schon seit 100 Jahren genauso an dieser Stelle. Kein hipper Name, kein hippes Logo, keine hippen Schlagworte. Und wer in den Gastraum tritt, steht
in einem filmreifen Interieur, das zum Großteil noch aus den 1940er Jahren stammt. Holzvertäfelung, Polsterbänke, Kachelofen. »1994 haben wir kurz überlegt, das alles rauszureißen und neu zu machen«, erzählt Inhaberin Juliette Hillig, die das Haus in vierter Generation führt. »Die Gäste haben uns zum Glück davor bewahrt. Sonst würde es heute
hier aussehen wie überall.« »Die Geschichte lebt hier und wir versuchen, sie zu integrieren«, sagt die Juniorchefin. Im Jahr 1910, damals wurde gerade die Kurklinik in Bad Gottleuba gebaut, hatte Juliette Hilligs Urgroßvater, ein Fleischersohn aus Kreischa, den Gasthof gekauft. Und irgendwie ist es der Familie gelungen, das Haus von einer Generation an die nächste weiterzugeben – über zwei Weltkriege und den Sozialismus hinweg bis in die heutige Zeit. Nur zwischen 1945 und 1947, als der Gasthof von der Sowjetarmee als Kommandantur genutzt wurde, waren Hilligs
nicht Herren im eigenen Hause. Die Geschichte integrieren: Das passiert auch kulinarisch. Es steht so manches alte Familienrezept auf der Karte: Sauerbraten, Eisbeinsülze, Tafelspitz mit Pfefferkuchensoße. Auf Nachfrage und zu
besonderen Anlässen werden auch verschwundene Legenden der DDR-Küche, wie das »Steak Strindberg« mit einer luxuriösen Senf-Zwiebel-Kruste, zubereitet. Im Wesentlichen ist die Küche aber einfach und bodenständig. »Ehrliche Küche ohne viel Schnickschnack«, nennt es Juliette Hillig.

Erbgericht Ulbersdorf

Frischer Wind in alten Mauern

©: Marko Förster

Warum sitzt hier ein Skelett in einem Friseurstuhl im Keller? Die Frage beschäftigt sicher jeden, der die gemütliche Gaststube des Erbgerichts in Ulbersdorf zum ersten Mal betritt. Eine Glasscheibe im Boden gibt den Blick auf die skurrile Szene frei. Wir werden später danach fragen.
»Ich bin die Doreen. Ich bin der Dominik«, so stellen sich unsere sympathischen Gastgeber vor. Es geht ungezwungen zu in dem fast 560 Jahre alten Gasthaus auf halber Strecke zwischen Hohnstein und Sebnitz, abseits der üblichen Touristenrouten. Doreen Enke hat das Haus im Jahr 2009 von ihren Eltern übernommen und betreibt es seitdem gemeinsam mit ihrem Mann. »Locker-flockig, nicht zu steif, aber gut und ehrlich gekocht«, so bringt die gelernte Köchin die Philosophie des Hauses und der Küche auf den Punkt.
Stammgäste wissen: Alle drei bis vier Wochen gibt es eine neue Karte mit den Produkten der Saison. Als wir vor Ort sind, ist gerade die beste Zeit für Bärlauch und Spargel. So stehen unter anderem Bärlauch-Crêpe mit gebratenen Putenbruststreifen und Bärlauch-Pesto oder gefüllte Hähnchenbrust mit Ziegenkäse, getrockneten Tomaten, Limonen-
Gnocchi, Rhabarber und Spargel zur Wahl. Nein, das sind nicht die üblichen Gerichte einer Dorfgaststätte. Es ist die Art Küche, wie sie Doreen Enke auf ihren Lehr- und Wanderjahren in verschiedenen guten Restaurants im Schwarzwald
kennen und lieben gelernt hat. Handwerklich, saisonal, innovativ und mit mediterranen Einflüssen. Mit Respekt vor der Tradition pflegen Enkes aber auch die Klassiker weiter. »Es gibt Gäste, die bei uns seit 30 Jahren nichts anderes als Thüringer Rostbrätl bestellen und das sicher auch in Zukunft tun werden, auch für die kochen wir gern«, so Dominik Enke. Und das Skelett? »Das ist ein kleiner Scherz«, lacht der Gastwirt. »Die Idee dazu kam mir bei den Sanierungsarbeiten im Keller.«

Erbgericht Heeselicht

Highlight Candlelight

©: Marko Förster

»Klare Sojasauce zur kaltgeräucherten Lachsforelle mit Yuzu-Perlen, dazu frisches Gurkenkompott und etwas Rauch: Die Kombination ist sensationell. Wir haben ein Hauptprodukt aus der Region und basteln etwas Internationales drumherum. Das macht schon Spaß.« Philipp Haufe hat die Welt gesehen, die Elitekochschule in Koblenz absolviert, mit Zwei- und Drei-Sterneköchen gearbeitet, BWL studiert und ist jetzt Küchenchef im Landhotel & Restaurant
»Zum Erbgericht« in Heeselicht in der Sächsischen Schweiz. Irgendwann, wenn sich seine Eltern aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, wird er das denkmalgeschützte Haus übernehmen – so wie es zuvor seine Eltern getan haben und davor seine Großeltern. Die Urgroßeltern betreiben hier, im offenen Hügelland zwischen Stolpen und Hohnstein, noch Landwirtschaft, die Großeltern setzen dann ganz auf die Gastronomie, die Eltern bauen die Dorf-
gaststätte zum guten Landhotel um. Der Juniorchef setzt nun frische kulinarische Akzente. Schließlich hat er für die Familientradition eine Karriere in der Sternegastronomie aufgegeben. Gleich nach der Heimkehr im Jahr 2015 krempelt
Philipp Haufe die Küche Schritt für Schritt um: neue Produkte, neue Lieferanten, neue Technik.
Kurz darauf folgte eine Listung im Gourmetführer Guide Michelin. Ein Stern muss es jedoch nicht sein. »Wir wollen ja auch die Wandertouristen und die Familien mitnehmen, was ich ganz wichtig finde.« Dennoch lässt sich der Vollblutkoch nicht nehmen, neben regionalen Klassikern wie Krautwickel und Quarkkeulchen auch die internationale Haute Cuisine zu zelebrieren. Ein Highlight ist das effektvoll inszenierte Candle-Light-Dinner. Viele Gäste kommen mittlerweile extra dafür nach Heeselicht.

// Sebastian Thiel

Bildnachweise:

  • GASTHAUSZIRKELSTEIN-F06: Marko Förster
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