GlĂŒck ist, wenn man einen Vaterkollegen und drei Jungs findet, die bereit sind, viele Kilo GepĂ€ck ĂŒber Deutschlands beliebtestem Wanderweg zu schleppen.

GlĂŒck ist, wenn Petrus ein Jahrhundertosterwetter schickt, weil auch bei schönem Wetter die viele Treppen ĂŒber die Plateauberge des Elbsandsteingebirges und die eiskalten NĂ€chte zu dieser Jahreszeit eine Herausforderung sind.

2010 hatte uns bereits eine „24-Stunden-Tour fĂŒr Kinder“ zusammengeschweißt. Uns: Meinen Sohn Lukas (13) und mich (Georg) unseren Nachbarn und Zahnarzt JĂŒrgen mit Sohn Leonhard (12), sowie David (12), der bevorzugt ohne Eltern wandert. Diesmal wollten wir mehrere Tage unterwegs sein ohne fĂŒr die NĂ€chte gebucht zu haben. Dazu hatten wir neben dem ĂŒblichen Equipment noch Zelte, SchlafsĂ€cke, Luftmatratzen, Campingkocher, Wasseraufbereiter und viel anderen „Kleinscheiß“ dabei. Keine Frage, dass jeder von uns fĂŒnf reichlich aufgeladen hatte.

Anreise am Tag Null: Dresden im Schnelldurchlauf, am Abend noch zur Festung Königstein, von welcher wir bei herrlichem Abendwetter die Route des nĂ€chsten Tages ĂŒberblicken: Bastei, Lilienstein, Pfaffenstein. Die Nacht verbringen wir im Berghof Lichtenhain.

Tag 1: Zwar wollen wir den Malerweg gehen, aber wir werden uns nicht sklavisch an ihn halten. Der markante Lilienstein scheint eine Abweichung wert. Meine Frau und meine Tochter bringen uns nach Uttewalde. Dort laden wir unser GepĂ€ck auf und starten. Nach wenigen Minuten und einem kurzen Abstieg hat uns der Uttewalder Grund verschluckt, wir sind in die Traumwelt der SĂ€chsischen Schweiz eingetaucht. Nach einer Abzweigung fĂŒhrt der Weg stetig bergan, bis wir auf der Bastei ankommen. Schon am Kiosk waren wir wieder auf die hier ĂŒblichen Menschenmassen gestoßen, wegen der Vorsaison aber noch in harmlosen Clustern. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto auf der BrĂŒcke verabschieden sich die „MĂ€dels“ und schicken uns auf den Weg.

NĂ€chste Station: Lilienstein. Erstmals erklimmen wir ĂŒber Leitern den einzigen linkselbischen Tafelberg und Davids Frage vom Königstein aus, wie man hinauf (und herunter) kĂ€me ist beantwortet. Auf dem Abstieg vom Lilienstein setzt sich David auf ein GelĂ€nder und will lausbubengleich der Gravitation folgend hinunter rutschen. Allerdings hat er seinen schweren Rucksack vergessen. Letzteren erfasst die Gravitation stĂ€rker als den TrĂ€ger selbst. David kippt nach hinten ĂŒber die Eisenstange ins GebĂŒsch. Erst Schreck, dann GelĂ€chter auf seine Kosten.
In Königstein setzten wir mit einer der ElbfĂ€hren ĂŒber und setzen unseren Weg linkselbisch fort. Die Umrundung des Quirl knicken wir bereits. Das Gewicht der RucksĂ€cke und die Treppen zehren an den KrĂ€ften. Am Fuße des Pfaffensteins macht mich eine Frau darauf aufmerksam, dass meine drei auf einer Wanderkraxe quer festgeschnallten wasserdichten PacksĂ€cke nicht durch das „Nadelöhr“ passen wĂŒrden. Also verstecke ich die Kraxe im Unterholz und passe wie ein Kamel durch die engen Passagen, die zum Pfaffenstein hinauf fĂŒhren. JĂŒrgen muss seinen Rucksack stellenweise abnehmen und vor sich her tragen. Am anderen Ende des Plateauberges blicken wir auf die Barbarine, ehe wir wieder umkehren – wieder durch das Nadelöhr. JĂŒrgen hĂ€tte seinen Rucksack auch verstecken können, schließlich stand Ostern vor der TĂŒr. Am Ortseingang von Gohrisch finden wir eine Werbetafel fĂŒr ein Hotel. David findet die splitternackte Saunabesucherin auf der Tafel hinreißend berĂŒhrenswert und reißt sich dabei einen langen „Holzschiefling“ in die Oberhaut seiner Hand. Erst Schreck, dann GelĂ€chter auf seine Kosten. Am Ende des Ortes, nach 23 Kilometern Tagesdistanz, finden wir einen sehr komfortablen Campingplatz, wo wir bei „Vollmond minus Eins“ und Bodenfrost eine kĂŒhle Nacht verbringen.

Am nĂ€chsten Morgen tauscht JĂŒrgen seinen Rucksack gegen Davids. David trĂ€gt zu schwer, weil er (oder seine Mutter?) es zu gut mit der ReservewĂ€sche gemeint hatte (er hat eine Boxershort pro Tag – dabei ist er der einzige, der erst am Ende der Tour duscht). JĂŒrgens pink-grĂŒn-farbiger Original-Rucksack fasst zu wenig GepĂ€ck. So kommt der Tausch gelegen. Nach FrĂŒhstĂŒck und Dusche (außer David) verlassen wir den Campingplatz und besteigen den Papststein, der eine großartige Fernsicht nach SĂŒden bietet. Mittagessen in Krippen. Dort Ă€ndern wir den Plan ganz spontan, was man kann, wenn man nirgendwo gebucht hat. Wir verlassen den Malerweg und wechseln wieder auf die rechtselbische Seite, benutzen einen historischen Personenaufzug und machen uns auf den Weg zu den Schrammsteinen. Der Aufstieg ist anstrengend. Treppen, Treppen, Treppen. Richtig „gach“ wird der Weg im WildschĂŒtzensteig. Man muss ihn selbst gegangen sein, vor allem mit einer ĂŒberbreiten Kraxe. Die Schrammsteinaussicht ist umwerfend. Noch beeindruckender aber ist der Höhensteig, der sich nach Osten hin anschließt.

Gleich nach Sonnenaufgang bereiten die Kinder acht Liter Wasser zu. Der Wasserfilter bewĂ€hrt sich bestens. Ohne ihn wĂ€ren wir lĂ€ngst ohne Trinkbaren, denn auch bei diesen gemĂ€ĂŸigten Temperaturen sind wir stĂ€ndig am Trinken. Dennoch freuen wir uns ĂŒber Kaffee und heiße Schokolade, die wir lange vor der Öffnungszeit im Lokal auf dem Großen Winterberg verkauft kriegen. Die Aussicht vom Turm ist mĂ€ĂŸig, denn auf die Schrammsteine verdecken BĂ€ume die Sicht, nach Osten hin blendet die Morgensonne. Angeregt durch gute GesprĂ€che legen die drei Jungs danach ein flottes Wandertempo vor. Kurze Zwischenstation beim Zeughaus, danach weiter zum Dreisteigensteg, der allerdings gesperrt ist. MĂŒssen wir wieder umkehren? Die Arbeiter winken uns ĂŒber die BrĂŒcke, aber Lukas und David lassen es sich nicht nehmen, die Kirnitzsch barfuß zu durchqueren. Der anschließende Aufstieg zum Großen Pohlshorn ist KrĂ€fte zehrend ohne Ende. Mehrmals bleibe ich stehen und verschnaufe. Ich bin „Lumpensammler“ wider Willen. JĂŒrgen, der seinerzeit bei den GebirgsjĂ€gern gedient hatte, resĂŒmiert, dass er keine „Alpenwanderung“ derart anstrengend erlebt hĂ€tte. Wie kann ein Mittelgebirge die Alpen toppen? Der Rundumblick oben entlohnt, weil wir jetzt mit der Sonne blicken und sehen, wo wir her kamen. In Hinter-hermsdorf machen wir Mittagspause im WanderstĂŒbel und ergĂ€nzen unsere VorrĂ€te im Tante-Emma-Laden, nach dem wir uns vorab erkundigt hatten. Die romantische Bootstour durch die  Kirnitzschtalklamm verschieben wir auf das nĂ€chste Jahr und machen uns heute auf zur Hickelhöhle, die wir allerdings erst erreichen, nachdem wir wieder endlose Stufen erklommen haben und auf der andere Seite zum Großen Zschand hinab gestiegen sind. Beim Zeughaus verbringen wir eine dritte unspektakulĂ€re Nacht. Einsam ist man zu dieser Jahreszeit noch unterwegs. Wie mag es hier im Sommer von Touristen wimmeln? Aber wie konnten mit diesem herrlichen Wetter rechnen? TagsĂŒber gerade mal 20 Grad, seit zwei Tagen sonnig. Perfekt.

Der letzte Tag ist schnell zusammengefasst: Drei MĂŒhlen an der Kirnitzsch, dann der „Kuhstall“, ein Felstor mit einem krassen Aufstieg („Himmelsleiter“ genannt) im Inneren der Gesteinsformation. Abstieg zum Gasthof Lichtenhainer Wasserfall. Dort hatte ich den Jungs eine Fahrt mit der Trambahn versprochen, allerdings erfahren wir, dass sie erst zwei Tage spĂ€ter, am Karfreitag, den Betrieb aufnehmen wird. Vor allem David ist enttĂ€uscht. Ein letztes Mal steigen wir auf, zur „Hohen Liebe“, einem Berg, der, anders als die FelstĂŒrme, wie ein Berg aussieht und auch fast ohne Treppen auskommt. Oben angekommen ĂŒberreiche ich den drei Jungen vorher gedruckte T-Shirt, die sie als „ÜberlebenStripĂŒberlebende“ ausweist (In Anspielung auf die stĂ€ndige Aus- und Anzieherei temperaturbedingt). Die Nacht an der Ostrauer MĂŒhle wird feuchtkalt. Anders als David habe ich selbst nur zwei Paar Socken eingepackt. Beide sind unbrauchbar geworden und mein Sommerschlafsack hĂ€lt die KĂ€lte nicht ausreichend ab. Doch auch diese Nacht hat ein Ende. Nach einem kurzen Fußmarsch am Abreisetag erreichen wir Bad Schandau und setzen ein letztes Mal ĂŒber die Elbe ĂŒber, wo wir am Bahnhof den EC besteigen, der uns ĂŒber Prag nach Regensburg bringt.

„Wer wagt, gewinnt.“ Wir sind schon bei jedem Wetter gewandert, auch bei schlechtem mit strömendem Regen und Hagel, aber unsere vier Tage durch das Elbsandsteingebirge beweisen einmal mehr, dass es bei heiterem Himmel einfach doch mehr Spaß macht. Das ResĂŒmĂ©e der vier Tage lautet: 80 Kilometer Distanz, 4500 Höhenmeter (Auf- und Abstieg) und unvergessliche, nachhaltige EindrĂŒcke fĂŒr VĂ€ter und Söhne. Und im nĂ€chsten Jahr werden wir wieder da sein. Wieder an Ostern!

Ein Reisebericht von Georg Luft, Regensburg

Abmarsch

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