Die stillen TÀler am Nordrand der SÀchsischen Schweiz stecken voller Geheimnisse. Im Dickicht der Buchen und Eichen vertrÀumen alte Tunnel und GemÀuer die Zeit. Und warten auf Entdecker.
Von der Gegend zwischen Unger und Schwarzbachtal wĂŒrde der Bad Schandauer Kartograf Rolf Böhm wohl nie eine Wanderkarte zeichnen. Ganz einfach, weil sich kaum jemand dorthin verirrt. Seit Jahrzehnten wurde das Gebiet am Nordrand der SĂ€chsischen Schweiz nicht mehr kartiert. Böhm war dort mal vor vielen Jahren wandern â im Winter. Ein stilles, weites Land, einsam und voller Melancholie. Von ganz hinten kamen Reiter ĂŒber die Felder, umweht von kaltem Dunst. Ohne GruĂ preschten sie vorĂŒber und waren schnell wie ein Spuk wieder verschwunden. ZurĂŒck blieb eine Wolke aus Schnee. Wie udmurtische Hirten auf ihrem Ritt durch die Steppe, so hat es der Kartograf in Erinnerung.
Das war im Winter. Im FrĂŒhjahr sieht die Gegend anders aus â eine blĂŒhende Landschaft, ĂŒppig grĂŒn und lieblich. Sonnige HĂŒgel, verwunschene TĂ€ler, dazwischen kleine gemĂŒtliche Dörfer. Und in den WĂ€ldern manch verfallenes GemĂ€uer, das schon halb in Vergessenheit geraten ist und im Dickicht der Buchen und Eichen nur noch die Zeit vertrĂ€umt: alte Tunnel und Fundamentreste, die von der bewegten Geschichte dieser Gegend zeugen â von Raubrittern und MĂŒhlen und der groĂen Zeit der Dampfeisenbahn. Einige dieser Orte kann man bei einer Wanderung durchs Sebnitz- und Schwarzbachtal entdecken.
Die abenteuerliche Tour beginnt am Bahnhof in Lohsdorf â einem Haltepunkt der ehemaligen Schwarzbachbahn. 1951 dampften letztmalig ZĂŒge aus dem Sebnitztal die 12 Kilometer hinauf bis nach Hohnstein, danach wurde die Strecke stillgelegt und zurĂŒckgebaut. Nur zwei Tunnel und Reste des alten Bahndamms blieben erhalten. Ein Verein bemĂŒht sich seit 25 Jahren um die Wiederbelebung des Schmalspurbetriebs. Das BahnhofsgelĂ€nde in Lohsdorf haben die Eisenbahnfreunde schon rekonstruiert. Eine echte Dampflok soll demnĂ€chst als Dauerleihgabe nach Lohsdorf kommen. Und Richtung Ehrenberg fĂŒhrt heute sogar wieder ein StĂŒck Gleis zum Ort hinaus â ein paar Hundert Meter zwar nur, dann ist vorerst Schluss. Aber die PlĂ€ne gehen schon viel weiter.
Wir mĂŒssen in die entgegengesetzte Richtung â dahin, wo der alte Bahndamm zwischen hochgewachsenen Birken allmĂ€hlich zur Ahnung wird: Richtung Ulbersdorf. DrauĂen auf den Wiesen schneit es ApfelblĂŒten. Ein warmer Wind tuschelt in den GrĂ€sern. Grillen zirpen, der Schwarzbach murmelt schlĂ€frig vor sich hin. Plötzlich taucht die Trasse zwischen FelswĂ€nden in eine dunkle Schlucht ein, auf der anderen Seite gehen Bahntrasse und Wanderpfad getrennte Wege, letzterer lĂ€sst den Taleinschnitt in östlicher Richtung bald hinter sich und steigt zu den Feldern am Hutberg hinauf.
Ulbersdorf döst in der Mittagssonne. Gepflegte Beete, akkurat gestutzte Hecken, hĂŒbsch sanierte FachwerkhĂ€user. Kein Mensch ist zu sehen. Ein einzelner Hahn hatÂŽs verschlafen und macht seinem Ărger darĂŒber Luft. Vorbei an Kirche und Erbgericht gehtÂŽs auf der DorfstraĂe weiter, bis rechts der Grundweg bergab zum Wald und ins Sebnitztal abzweigt. SpĂ€testens dort verschluckt die Stille jedes menschliche GerĂ€usch. Alle paar Stunden zuckelt hier mal die Regionalbahn der Tschechisch-Deutschen Nationalparklinie U 28 ĂŒber BrĂŒcken und Viadukte das Tal hinauf nach Sebnitz und weiter ins Böhmische â die Ringlinie geht Mitte Juni wieder in Betrieb. Ansonsten ist Ruhe. Der Sebnitzbach zieht gemĂ€chlich in seinem steinigen Bett dahin. Sein Wasser funkelt im Sonnenschein. Am Ufer wuchern Knöterich und Wilder Rhababer. Nichts stört den Frieden.
Das war vor 650 Jahren ganz anders. Ein paar Kilometer flussabwĂ€rts vom Grundweg, an der EinmĂŒndung des Schwarzbachs in die Sebnitz, erinnern hoch ĂŒberm Tal die Ăberreste einer alten Burg an das sagenumwobene Rittergeschlecht der Berken von Duba â das sogenannte GoĂdorfer Raubschloss. Ăber das GemĂ€uer und seine EigentĂŒmer weiĂ die Legende nicht allzu viel Gutes zu berichten. Die Geschichten handeln von Mord und Totschlag. Einer der Bewohner soll sogar den Teufel beschworen haben. Die Spuren des Verfalls sind freilich nicht ganz echt. Im 19. Jahrhundert lieĂ ein romantisch veranlagter Rittergutsbesitzer auf den noch vorhandenen Mauerresten aus dem Mittelalter eine kĂŒnstliche Ruine errichten, um das Andenken an die wilde Vergangenheit dieses Ortes zu bewahren.
Nach solchen abenteuerlichen Geschichten verwundert es kaum, wenn man nur ein paar Hundert Meter weiter das Schwarzbachtal hinauf nichtsahnend um eine Ecke biegt â und unversehens in einen Berg hineinspazieren kann. Ein gewaltiges Loch geht da unterm Burgfelsen hindurch: 68 Meter lang, mit gemauerten Portalen auf beiden Seiten â der sogenannte Schwarzbergtunnel. Nicht die Zwerge haben ihn gegraben, sondern die Ingenieure und Gleisbauer der alten Schmalspurtrasse nach Hohnstein. Womit sich der Kreis zum Ausgangspunkt der Tour wieder schlieĂt. Dem Wanderweg folgend, gelangt man auf den Spuren der einstigen Dampfeisenbahn nun nordwĂ€rts durch ein Ă€hnliches Bauwerk, den 38 Meter langen Maulbergtunnel, in einer knappen Stunde zurĂŒck nach Lohsdorf.
Aber es lohnt sich, noch einen Augenblick vor dem ersten Tunnel innezuhalten und hinein zu lauschen. Im Abendlicht leuchtet sein fernes Ende wie das Tor zu einer anderen Welt. Wenn man ganz still wird, ist es, als ob ein leises FlĂŒstern aus dem Berg kommt â nicht mehr als ein Hauch â und von den Menschen zu erzĂ€hlen beginnt, die auf ihm und unter ihm gewesen sind. Jahrhunderte getrennt voneinander und dennoch verbunden im Fluss der Zeit. Ein StĂŒck Geschichte wird lebendig â nur fĂŒr einen Moment. Man kann es nicht festhalten.
Kurzbeschreibung:
Eine abenteuerliche Wanderung durch vertrĂ€umte, einsame Landschaften am Nordrand der SĂ€chsischen Schweiz. Die gut vierstĂŒndige Tour beginnt und endet am Bahnhof in Lohsdorf (Parkplatz gegenĂŒber) und fĂŒhrt teils auf der Trasse der ehemaligen Schwarzbachbahn zu geschichtstrĂ€chtigen Orten im Sebnitz- und Schwarzbachtal. Von Lohsdorf gehtÂŽs zunĂ€chst dem alten Bahndamm folgend Richtung SĂŒdosten, dann nach einem knappen Kilometer ĂŒber den Langen Weg links aus dem Tal heraus und am Hutberg vorbei nach Ulbersdorf. In Ulbersdorf auf der DorfstraĂe bleiben bis fast zum anderen Ortsende, dann rechts abbiegen und den Grundweg hinunter bis zum Ufer der Sebnitz wandern. FlussabwĂ€rts gehtÂŽs weiter immer am Bach entlang und der Trasse der Semmeringbahn/Nationalparkbahn folgend drei Kilometer nach Westen bis zur EinmĂŒndung des Schwarzbachs unweit der ehemaligen ButtermilchmĂŒhle. Im Schwarzbachtal kommt linker Hand gleich ein Treppenaufgang zum GoĂdorfer Raubschloss (steil!). Etwa 300 Meter weiter taleinwĂ€rts mĂŒndet der Weg erneut auf die alte Trasse der Schwarzbachbahn (direkt am Nordportal des 68 Meter langen Schwarzbergtunnels) und fĂŒhrt dann nach Norden durch den Maulbergtunnel (38 Meter lang) immer dem historischen Bahndamm folgend zurĂŒck nach Lohsdorf.
- Distanz ca. 12 Kilometer
- 373 Höhenmeter
- Wanderzeit insgesamt rund 4 h (ohne Rast)
- Charakter: stille, geschichtstrÀchtige Rundtour durch romantische TÀler
- Einkehrmöglichkeiten: Landgasthaus zum Schwarzbachtal in Lohsdorf, Erbgericht in Ulbersdorf
- Mit dem Auto: Aus Pirna kommend ĂŒber Hohnstein und Ehrenberg die S165 nach Lohsdorf, Parkplatz direkt gegenĂŒber vom Bahnhof.
- ĂPNV: Nationalparkbahn U28 von Bad Schandau bis Gossdorf-KohlmĂŒhle, in diesem Fall beginnt und endet die Runde im Sebnitztal. Ansonsten mit der Buslinie 236 Pirna-Sebnitz des RVSOE bis Lohsdorf. Fahrplaninfos: www.ovps.de
WeiterfĂŒhrende Tipps und Route zum Download: www.sandsteinblogger.de
Zum Autor
Hartmut Landgraf lebt und arbeitet als freier Journalist, Texter und Herausgeber des Online-Magazins SANDSTEINBLOGGER.DE in Dresden. Die Touren- und Reportage-Website hat ihren Schwerpunkt im Elbsandsteingebirge, ist thematisch aber auch in anderen Ecken der Welt unterwegs. 2016 war das Magazin Medienpartner des Deutschen Wandertages und wurde 2017 in Innsbruck mit dem traditionsreichen BergWelten-Journalismuspreis ausgezeichnet.
Bildnachweise:
- Logo SÀchsisch-Böhmische Schweiz: TVSSW
- Winterwandern Nationalparkregion SĂ€chsische Schweiz: Sebastian Thiel
2 Comments
…immer auf der Suche nach Wegen abseits der Masse habe ich diese Tour bereits im April 2015 gemacht (allerdings ohne RaubschloĂ). Wer Ruhe und Einsamkeit sucht, wird hier fĂŒndig – und ĂŒberrascht, wenn plötzlich Reste der ehemaligen Kleinbahnstrecke mit Tunnel und sogar einem ehemaligen Bahnhof mitten im Wald auftauchen. Wer diese Tour macht, sollte kurz vor dem “Ende” vor Ulbersdorf unbedingt den Abstecher auf den Hutberg mitnehmen – ein unscheinbarer HĂŒgel im Feld, der von uralten BĂ€umen ringförmig gesĂ€umt wird und von dem sich ein lohnendes Panorama bietet.
Wunderschöne Ecke … bis jetzt auch wirklich immer noch ein Geheimtipp … mal sehen, wie lange das noch so ist, wenn sĂ€mtliche âWander-Bloggerâ drĂŒber berichten…
Trotzdem schöner Artikel! Waren erst vor kurzem da – Sonntagnachmittags-Spaziergang đ! Lg