Wunder aus dem Meer

Wunder aus dem Meer

Wasser formte die grandiose Felsenwelt der SĂ€chsischen Schweiz. Und bis heute ist sie vom Wasser geprĂ€gt. Was wĂ€re Wandern in der Region ohne FlĂŒsse, BĂ€che und WasserfĂ€lle, Rinnsale, Quellen, Seen und Teiche – und ohne den Nebel? Es ist eine faszinierende Geschichte.

Tropisches Urlaubsparadies mit karibischem Flair

In Gedanken fahren wir mit dem Boot hinaus – und weit in die Vergangenheit. Das tĂŒrkisfarbene Meer glitzert in der Morgensonne. Das Wasser ist warm und wimmelt vor Leben: Fische, Muscheln, Krebse, Ammoniten. Sogar Haie und Plesiosaurier, fleischfressende Meeresreptilien, soll es hier geben. Denen wollen wir lieber nicht begegnen. Wir schauen nach Nordosten, hinĂŒber zu den SandstrĂ€nden der Westsudetischen Insel, dann nach SĂŒdwesten, zur KĂŒste der MitteleuropĂ€ischen Insel. Die Meerenge, auf der wir uns befinden, verbindet das Norddeutsche Kreidemeer mit dem Böhmischen. Es ist ein tropisches Urlaubsparadies mit karibischem Flair. Nur die Urlauber fehlen. Die reisen erst knapp 100 Millionen Jahre spĂ€ter an – aber da wird das Meer schon lĂ€ngst weg sein. Und wo die Meeresstraße war, wird sich ein Fluss malerisch an bizarren Felsformationen vorbeischlĂ€ngeln: die Elbe.

Eine atemberaubende Landschaft bei Sonnenaufgang zeigt einen gewundenen Fluss, der durch ein Tal fließt. Nebel steigt vom Wasser auf und der Himmel ist mit vereinzelten Wolken geschmĂŒckt, die das warme Sonnenlicht reflektieren. Im Vordergrund steht ein einsamer Baum auf einer Felsklippe und ĂŒberblickt die ruhige Szene.©: Jacqueline Voigt

Es ist eine spannende Geschichte, die uns die Steine der SÀchsischen Schweiz erzÀhlen. Doch wer sie verstehen will, braucht einen Dolmetscher.

Die Sprache der Steine erforschen und verstehen

FĂŒr uns ist das heute Anke DĂŒrkoop, studierte Geologin und seit 2021 zertifizierte NationalparkfĂŒhrerin. Die gebĂŒrtige NiedersĂ€chsin begleitet regelmĂ€ĂŸig Wandergruppen durch die SĂ€chsische Schweiz und öffnet ihnen die Augen fĂŒr die unscheinbaren SchĂ€tze am Wegesrand. Uns fĂŒhrt sie ĂŒber den Forststeig, durch die TeichsteinbrĂŒche bei Schöna und ĂŒber den Zirkelstein. Hier sind besonders viele spannende Relikte der maritimen Vorgeschichte der Region zu entdecken. In den Felsen liest sie wie in einem Buch.

Eine Frau mit schulterlangem Haar und Brille berĂŒhrt mit ihrer rechten Hand eine felsige OberflĂ€che. Sie trĂ€gt ein blaues T-Shirt und steht im Freien in der NĂ€he einer Felsformation, auf der etwas GrĂŒn sichtbar ist.©: Annabel TĂ€nzler Thiel PR

„In diesen Steinen ist alles drin, was vor Jahrmillionen im Meer zerrieben wurde“, erklĂ€rt die Geologin. Mit einem Taschenmikroskop untersuchen wir die Brocken, können jedes einzelne Sandkorn erkennen, das einmal zum Meeresgrund gehörte. FossilieneinschlĂŒsse in den FelswĂ€nden beweisen, dass Austernmuscheln, Ammoniten, Knochenfische, garnelenartige Krebse und Haie einst dort lebten, wo heute Falke, Schwarzstorch und Uhu nisten.

„In diesen Steinen ist alles drin, was vor Jahrmillionen im Meer zerrieben wurde“

An unterschiedlich groben Sandsteinschichten erkennen wir, dass der Meeresboden aufgewirbelt und grĂŒndlich durchmischt wurde. Hier tobte offenbar ein gewaltiger Sturm.

SĂ€chsische Schweiz zur Zeit der Dinosaurier

Fast sieben Millionen Jahre lang bedeckt Wasser die Region. Es ist die Zeit der Dinosaurier. Die Jahresdurchschnittstemperatur der Erde liegt etwa zehn Grad höher als heute. Die Polarregionen sind eisfrei und teilweise bewaldet. Deutschland ist zum grĂ¶ĂŸten Teil Meeresgrund.

Verwitterung schafft beeindruckende Landschaft

Vor etwa 90 Millionen Jahren zieht sich das Wasser zurĂŒck. Die Ablagerungen verhĂ€rten zu Stein. Mit Beginn des TertiĂ€rs vor etwa 66 Millionen Jahren wird die mehrere Hundert Meter mĂ€chtige Sandsteinplatte gehoben und zerbricht in quaderförmige Teile. Regen und Witterung vertiefen die Bruchfugen in einem Jahrmillionen andauernden Prozess und formen so die imposanten Tafelberge sowie die typisch wildromantischen Schluchten. An mehreren Stellen entstehen Vulkane und erstarren zu mĂ€chtigen Kegelbergen aus Basalt – wie Großer und Kleiner Winterberg, Stolpener Burgberg, Cottaer Spitzberg oder Rosenberg auf böhmischer Seite. Die Elbe bahnt sich ihren Weg durch die Region und schafft dabei imposante FelswĂ€nde.

Wasser hat die Region geschaffen. Wasser ist auch ein wesentlicher Teil des Landschaftserlebnisses. Wo Schluchten und TĂ€ler sind, sind auch FlĂŒsse und BĂ€che. Die idyllischen TĂ€ler von Wesenitz, Kirnitzsch, Sebnitz, Polenz und Biela gehören zu den beliebtesten Wandergebieten der Region. Romantisch ist das Kahnfahren durch die Kirnitzschklamm an der Oberen Schleuse bei Hinterhermsdorf oder auf dem Amselsee bei Rathen, meditativ das Tröpfeln des Rinnsales ĂŒber der Gautschgrotte bei Hohnstein, erfrischend das kĂŒhle Nass der Ilmenquelle in Schmilka, mystisch das berĂŒhmte Nebelmeer, dass im Herbst oft fotogen die Tafelberge umwogt.

Eine ruhige Landschaft mit nebligen Bergen bei Sonnenaufgang. HĂŒgelschichten verschwinden in der Ferne, bedeckt von einem weichen, Ă€therischen Nebel. Der Himmel ist in warmen Orange- und Rosatönen gemalt und wirft einen friedlichen Schein ĂŒber das bewaldete GelĂ€nde.©: Sebastian Rose

Bis heute formt Wasser die Landschaft der SĂ€chsischen Schweiz, am stĂ€rksten durch Verwitterung. Aufgrund der großen Poren des Sandsteins kann Regen gut versickern und löst dabei Eisenoxide, aber auch KieselsĂ€ure aus dem Gestein – den Stoff, der die Sandkörner im Fels zusammenhĂ€lt. Der Sand wird vom Regen ausgewaschen. ZurĂŒck bleiben rote, gelbe und schwarze FĂ€rbungen sowie bizarre Felsformen. Doch auch die verschwinden langsam.

„In bereits einer Millionen Jahren könnten die Tafelberge vollstĂ€ndig abgetragen sein“

prophezeit Anke DĂŒrkoop. Nach menschlichen MaßstĂ€ben ist das eine Ewigkeit, doch die Zeichen der Erosion sind allgegenwĂ€rtig. Wer durch die SĂ€chsische Schweiz wandert, lĂ€uft hĂ€ufig durch feinen Sand.

Es ist der Meeresgrund der Kreidezeit, der sich aus den Felsen gelöst hat. Und frĂŒher oder spĂ€ter gelangt dieser Sand ĂŒber BĂ€che und FlĂŒsse in die Elbe und ĂŒber die Elbe in die Nordsee. Die SĂ€chsische Schweiz, das Wunder aus dem Meer, kehrt irgendwann wieder ins Meer zurĂŒck.

Mit der Zertifizierten NationalparkfĂŒhrerin Anke DĂŒrkoop unterwegs

Du willst mehr zur Entstehungsgeschichte unsrere wunderschönen Landschaft erfahren? Dann geh auf Entdeckungstour mit Anke DĂŒrkoop.

Text: Sebastian Thiel fĂŒr das Urlaubsmagazin 2025

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