©: Hartmut Landgraf

Sie ist die auffälligste Landmarke der Sächsischen Schweiz, sichtbar sogar aus dem Kosmos: die Elbschleife bei Königstein. Und trotzdem haben viele sie noch gar nicht richtig entdeckt.

Es gilt als abgemacht, dass die auffälligsten Landschaftsformen der Sächsischen Schweiz ihre Felsen und Tafelberge sind. Das mag aus der Nähe betrachtet stimmen. Doch mit zunehmendem Abstand schrumpfen die stolzen Gipfel bald auf Sandkorngröße zusammen. Und ab einem gewissen Punkt bleibt vom Elbsandsteingebirge nur noch eines sichtbar – die Elbe. Genauer gesagt ein markanter, fünf Kilometer langer Abschnitt davon: die Elbschleife bei Königstein. Den Beweis liefern Satellitenbilder der NASA, die aus einer Entfernung von 600 Kilometern zur Erde aufgenommen wurden (>>>https://go.nasa.gov/3cC3uFE).

Da irritiert es schon ein bisschen, dass man den eindrucksvollen Flussbogen – sozusagen erdnah – nur von ganz wenigen Punkten im Elbsandsteingebirge richtig gut aufs Bild bekommt. Vom Lilienstein, den er umspannt, nur seine beiden Enden. Von der Bastei lediglich das Westende. Pfaffenstein oder Gohrisch scheiden ganz aus – von dort ist die Elbe gar nicht zu sehen, nur ihre Talhänge. Einzig von der Festung Königstein hat man die Schleife in voller Schönheit im Blick. Will man die Festung jedoch selbst und samt Flussbogen ins Bild kriegen, gibt´s nur eine Möglichkeit. Und die haben viele bisher noch gar nicht entdeckt.

Mitte März. Der Winter liegt in seinen letzten Zügen. Nur an den Nordhängen der Sächsischen Schweiz sind hier und da noch ein paar Schneeflecken übrig. Die Königsteiner Kirche sticht mit ihrer Turmspitze kleine himmelblaue Löcher in die Wolkendecke. Wie durch ein Sieb fallen Sonnenstrahlen aufs Dach und in alle Ecken der Stadt. Schräg gegenüber führt ein stiller Weg den Berg hinauf in den Wald und zur Festung. Alte Buchen und Birken säumen ihn. Kein Mensch ist zu sehen oder zu hören – nur das Laub raschelt unter den Füßen.

©: Hartmut Landgraf

Von Königstein soll meine Wanderung vorbei an der Festung und dann nordwärts über Thürmsdorf und den Kleinen Bärenstein bis nach Stadt Wehlen gehen. Und ungefähr in der Mitte direkt über der Elbschleife ihren malerischen Höhepunkt erreichen – die Johann-Alexander-Thiele-Aussicht. Bis zum Fuß der Festung habe ich es in weniger als einer halben Stunde geschafft. Hier lohnt sich ein kleiner Umweg: Direkt unter den Steilwänden zieht sich der sogenannte Patrouillenweg wie eine Hutschnur um den Festungsfelsen und bietet ein paar fantastische Tiefblicke ins Elbtal. Auf der Südostseite führt der Weg am Einstieg des legendären Felskamins vorbei, durch den Sebastian Abratzky 1848 heimlich auf die Festung kletterte – und die oben stationierten Truppen nach Strich und Faden blamierte. In den umliegenden Ortschaften erhob sich Gelächter. Ein harmloser Schornsteinfeger habe geschafft, was unermessliche Streitkräfte nie vermocht hätten, stichelte die Lokalpresse.

Weiter geht´s – immer den Markierungen (roter Strich) folgend – über die Wiesen vor der Festung und unter der Bundesstraße 172 hindurch Richtung Nordwesten. Der Weg wird ganz kurz vom Wald gefangen genommen, kommt aber schon nach wenigen Biegungen am Ortseingang von Thürmsdorf wieder frei. Der Ort hält Mittagsruhe. In den Vorgärten blühen Schneeglöckchen. Die Dorfstraße glänzt in der Sonne.

©: Hartmut Landgraf

Wer zur Thiele-Aussicht will, muss hier erstmal einer Versuchung widerstehen: Links am Weg, gleich gegenüber vom Schloss, lädt die Adoratio-Schokoladenmanufaktur zu einem süßen Zwischenstopp ein. Zehn Minuten später läuft der Weg schnurstracks auf das markante Sandsteinrondell des Biedermann-Mausoleums zu, und dann sind´s nur noch zwei Schritte bis zur Aussicht.

©: Hartmut Landgraf

Der Felsvorsprung ist einer der besten Logenplätze überm Elbtal, doch erst seit wenigen Jahren wieder zugänglich – und bis heute ein Geheimtipp. An dieser Stelle zeichnete Johann Alexander Thiele (1685 – 1752) die ersten Skizzen für sein späteres Ölgemälde „Prospekt der Festung Königstein“. Ein Repro des Originals ist an Ort und Stelle auf einer Stele abgebildet. Beim näheren Hinsehen fällt allerdings auf, dass es der berühmte Landschaftsmaler mit der Natur nicht ganz so genau nahm: Der Königsteiner Festungsfelsen – seinerzeit Symbol fürstlicher Macht – wirkt maßlos überzeichnet. Auch bei der Elbschleife ließ sich der Meister mehr von seiner Fantasie als von der Perspektive leiten und verwandelte den aus diesem Blickwinkel zweifelsfrei runden Flussbogen kurzerhand in eine S-Kurve. Sei´s drum – die Aussicht kann einen auch wirklich ein bisschen trunken machen!

Zurück in Thürmsdorf geht´s hinterm Schloss weiter. Der Weg mäandert zuerst recht lauschig und nett um die Ausläufer des alten Schlossparks herum und sticht dann unvermittelt steil den Berg hoch. Hier wartet die zweite Überraschung: die Götzingerhöhle unterhalb vom Kleinen Bärenstein. Da die Fantasie nun einmal geweckt ist, fällt es nicht mehr schwer, ihren moosgrünen Eingang zwischen zwei wuchtigen Felsen als das versteckte Tor ins sagenhafte Zwergenreich Moria zu enttarnen. Man muss dafür nicht mal einen Zauberspruch aufsagen – nur hier und da den Kopf einziehen.

©: Hartmut Landgraf

Die Illusion ist leider viel zu schnell wieder vorbei und man kehrt mit leeren Händen ohne Gold und Silber zurück auf den holprigen Pfad, der aus dem Felswinkel heraus und zum Gipfel des Kleinen Bärensteins weiterführt. Oben befand sich bis 1943 eine beliebte Ausflugskneipe, von der heute nur noch ein paar Mauersteine erhalten sind. Um die Ecken pfeift der Wind – aber die Trümmer atmen Geschichte.

©: Hartmut Landgraf

Auch ich hole hier erstmal tief Luft. Die Sächsische Schweiz liegt unter einer Wolkendecke und sieht trotzdem wie aus dem Ei gepellt aus. Frühlingsfrisch. Klare Sicht bis zum Horizont.

©: Hartmut Landgraf

Die Elbschleife sieht man nicht. Aber das Panorama verrät, wo sie sich versteckt. Rings um den Lilienstein zieht sich eine riesige Kerbe. Dort hat sich der Fluss ins Antlitz der Landschaft gegraben. Mal langsam in die Breite, mal schnell in die Tiefe – aber immer unablässig wie ein Bildhauer, der eine monumentale Skulptur erschaffen will. Aus einer massiven Sandsteinplatte modelliert er in unsäglich langer Zeit eine Landschaft aus Tafelbergen, mächtigen Plateaus, hohen Steilwänden und ausgedehnten Ebenheiten. Er modelliert die Elbschleife. Ein einzigartiges Kunstwerk, sichtbar sogar aus dem All. In Jahrmillionen erschaffen. In drei Stunden durchwandert. Was bleibt, ist der Abstieg nach Wehlen.

Text/Fotos: Hartmut Landgraf

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