Peter Brunnerts Kletterbücher sind Kult. Für uns erinnert sich der Hildesheimer Autor an den stürmischen Beginn seiner Liebe zum Elbsandsteingebirge.

Eigentlich war es ein Zufall, dass es Pfingsten 1975 zu meiner ersten Begegnung mit dem Elbsandsteingebirge kam. In der Klettergruppe meiner Freunde aus Hannover war ein Platz frei geworden, ich erhielt eine Einladung, wenig später ein Visum und schon standen wir in Marienborn am Grenzübergang und hatten zwei Stunden lang Gelegenheit zu beobachten, wie unser Fiat 127 auseinandergenommen und wieder zusammengebaut wurde. Die Fahrt dauerte die ganze Nacht.

Am nächsten Morgen erreichten wir dann irgendwann die Schrammsteinaussicht hoch über Bad Schandau – und ich war verloren: Liebe auf den ersten Blick, keine Chance zu entkommen. Da war sie plötzlich, die Landschaft, die schon so oft durch meine Träume gegeistert war und von der ich nicht zu hoffen gewagt hatte, dass es sie wirklich gab. Die fantastische Felsenwelt berührte mich von Anfang an und ließ mich nicht mehr los, bis heute nicht. Die unzähligen Felstürme, die wilden Schluchten und Abgründe, die knorrig-ursprünglichen Wälder, die gewaltigen Tafelberge mit ihren endlosen Weitblicken, all das war so wunderbar romantisch und schlug in meiner Seele einen ebenso wehmütigen wie aufwühlenden Ton an, der nie wieder verklingen sollte.

Hoellenhund_Foto_Beata_Brunnert_kleiner©: Beata Brunnert

Nun hatte ich damals in meiner Sturm-und-Drang-Zeit offenbar nicht nur eine zutiefst romantische Disposition, sondern war auch und vor allem Kletterer. Die ersten Abenteuer in den Alpen waren überstanden und ich ahnte nicht, welch wilde Ausfahrten mich in der Sächsischen Schweiz noch erwarten sollten. Bereits kurz nach dem Schlüsselerlebnis auf der Schrammsteinaussicht starteten wir ohne Klettergurt und Seil unsere erste Klettertour, die „Seydesche Variante“ auf den Hohen Torstein. Wir querten über schaurige Schluchten, wanderten über ausgesetzte sandige Pfade, krochen durch finstere Höhlen und Kamine, schienen uns dabei fast schon im Inneren des Berges zu verlieren, als ein unerwarteter Ausweg durch eine enge Kluft uns schließlich auf den höchsten Gipfel der Schrammsteinkette führte. Was für ein Erlebnis! Der gewaltige Falkenstein lag uns zu Füßen, das Turmgewirr rings umher wirkte wie die unaufgeräumte Werkstatt eines Riesen-Steinmetzes. Kurze Zeit später standen wir dann am Fuße des Falkensteins und stiegen, ebenfalls ohne Seil, über den berühmten „Schusterweg“ zu seinem Gipfel empor. Hatte ich je eine wildere und schönere Kletterei begangen?

Auf dem Gipfel machten wir lange Rast, und unser Dresdner Bergfreund breitete vor uns die sächsische Klettergeschichte aus: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich Oscar Schuster und seine Gefährten an diese Sandsteinriesen gewagt und einen Gipfel nach dem anderen erobert. Schon früh hatte sich die sächsische Klettergemeinde dabei strenge Regeln auferlegt, deren Grundsätze bis in die Gegenwart gelten und dazu beigetragen haben, dass das im Elbsandsteingebirge nach wie vor eine Sonderstellung unter den Klettergebieten einnimmt. So entstanden bereits in der Frühzeit abenteuerliche und kühne Wege, die bis heute nichts von ihrem Nimbus eingebüßt haben und die dem Kletterer so einiges abfordern.

Mit Kraft und Geschicklichkeit allein ist es dabei häufig nicht getan, ganz oft ist auch eine gehörige Portion Mut und Kaltblütigkeit gefragt. Und das sollte ich bei den vielen Aufenthalten, die auf den Pfingstausflug 1975 folgten, auch am eigenen Leib erfahren. Ich durfte gemeinsam mit Freunden so manchen Turm besteigen und hatte dabei das Glück, einige der allerschönsten Touren klettern zu dürfen, herausragend dabei sicherlich der sagenhafte Talweg am Höllenhund bei Rathen. Nicht immer ging alles glimpflich ab, haarsträubende Abenteuer gab’s, und irgendwann begann ich, sie aufzuschreiben. Auch meine sächsischen Freunde erzählten mir an Lagerfeuern und Kneipentischen von zum Teil unglaublichen, aber wahren Erlebnissen, die schönsten davon fanden Eingang in meine Geoquest-Bücher „Die spinnen, die Sachsen!“ und „Klettern ist sächsy”. Und so wie es aussieht, werden noch ein paar dazu kommen. An mir soll es jedenfalls nicht liegen.

Peter Brunnert

Zur Person

Peter Brunnert, Jahrgang 1957, lebt und arbeitet als freiberuflicher Autor in seiner Heimatstadt Hildesheim. Monatlich erscheint im Magazin “klettern” seine Kolumne “Peter macht Schluss”. Seine im Panico-Alpinverlag erschienenen Bücher enthalten neben Selbstverstümmelungsgrotesken und Hippieabenteuern aus den Siebzigern auch zahlreiche Glossen und Satiren, bei denen so ziemlich alle ihr Fett wegbekommen: Boulderer, Radlerhosenträger, Profis, Schnupperkursler und Hardcore-Sachsen. Im Sommer erschien bei Panico das Buch “Fisch sucht Fels”, das sich mit der Absurdität des norddeutschen Bergsteigen befasst.

Fotos:
Titelfoto Klettern © Archiv Peter Brunnert
Hoellenhund © Beata Brunnert

Bildnachweise:

  • Kletterer: Beata Brunnert
  • Logo Sächsisch-Böhmische Schweiz: TVSSW
  • Winterwandern Nationalparkregion Sächsische Schweiz: Sebastian Thiel

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