Eine kultige Straßenbahn, ein mystisches Felsentor, eine verschwundene Burg, idyllische Gipfel und heiße Waffeln: Das Kirnitzschtal ist auch im Winter ein Wandertipp.

Das muss die berühmte Böhmische Suppe sein! Nebel zieht plötzlich über uns hinweg, als wir an diesem Spätwintermorgen in Bad Schandau auf dem Fähranleger stehen. „Böhmische Suppe“, so nennen die Einheimischen die Nebelbänke, die hier häufig das Elbtal hinaufziehen. Für uns ist die Szene heute das perfekte Startbild für unsere Tour durch das Tal, von dem man sagt, es sei das romantischste der Sächsischen Schweiz: das Kirnitzschtal.

„Rundweg Lichtenhain“

So heißt unsere Tour in der offiziellen Winterwanderkarte des Tourismusverbandes Sächsische Schweiz. Lichtenhainer Wasserfall, Neuer Wildenstein mit dem berühmten Felsentor Kuhstall, der kaum bekannte Großstein sowie Ottendorf und Lichtenhain sind die Wegmarken. Vier Stunden Wanderzeit sind für die 14 Kilometer lange Runde veranschlagt.

Eine Person mit Rucksack und Mütze steht auf einer Plattform und überblickt eine weite Landschaft mit sanften Hügeln und vereinzelten Bäumen unter einem klaren blauen Himmel mit flauschigen Wolken.

Unterwegs mit der rollenden Legende

Natürlich fahren wir mit der Kirnitzschtalbahn zum Ausgangspunkt. Die Bahn mit den leuchtend gelben Wagen ist eine rollende Legende! Mit nur einer Linie ist es nicht nur der kleinste Straßenbahnbetrieb der Republik, sondern auch die einzige Straßenbahn weltweit, die in einen Nationalpark einfährt! Sogar Hollywood hat sie schon für sich entdeckt.

Ziemlich einmalig: Mit der Straßenbahn im Nationalpark Sächsische Schweiz unterwegs

Die tiefstehende Wintermorgensonne taucht den holzvertäfelten Waggon, in dem die Zeit irgendwann in den 1970er Jahren stehen geblieben zu sein scheint, in warmgelbes Licht. Es lässt sich wunderbar träumen bei der etwa halbstündigen Fahrt von Endhaltestelle zu Endhaltestelle, beim Blick auf die Kirnitzsch, die mal nah neben den Gleisen, mal weit entfernt hinter einer Wiese mit Schneeglöckchen in der Sonne glitzert. Immer wieder müssen wir über das resolute Klingeln schmunzeln, das an jeder Haltestelle die Weiterfahrt ankündigt.

Ausstieg am Lichtenhainer Wasserfall

Lichtenhainer Wasserfall, Endhaltestelle. Ab hier geht es zu Fuß weiter. Der Fahrer, der in Personalunion auch Schaffner und Rangierer ist, koppelt den Triebwagen mit geübten Handgriffen ab und am anderen Ende des kurzen Zuges wieder an. Es ist ein Ritual, dass sich täglich mehrmals wiederholt, an jeder der beiden Endhaltestellen, seit über 100 Jahren.

Auf einer malerisch bemoosten Steinbrücke überqueren wir den glasklaren Fluss. Hier, auf der Schattenseite des Tales, ist der Morgen noch kühl und feucht. Der Weg führt bergauf durch den Wald zum Neuen Wildenstein. Erstes Wanderziel ist das Felsentor „Kuhstall“. Es ist seit 200 Jahren eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Sächsischen Schweiz. Doch heute hat sich nur eine Handvoll Wanderer hierher verirrt.

Eine Person mit einem Rucksack geht durch eine große Felsenhöhle auf eine helle Öffnung zu. Die Höhlenwände sind schroff und dunkel, während das Sonnenlicht durch die Öffnung fällt und eine ferne Landschaft freigibt.

Respekteinflößend hängen Tausende Tonnen Gestein als Gewölbe etwa zehn Meter über uns, als wir durch das Felsentor wie durch das Portal einer Kathedrale in das gleißende Sonnenlicht auf der anderen Seite des Berges schreiten. Hier bietet sich uns das erste Panorama des Tages: die Hintere Sächsische Schweiz mit ihren unzähligen Hügeln und knubbeligen Gipfeln.

Auf der Himmelsleiter zu den Raubrittern

Über die „Himmelsleiter“, eine Treppe in einer engen Felsspalte, geht es noch weiter hinauf – dorthin, wo vor 600 Jahren die Burg des einst stolzen böhmischen Adelsgeschlechtes der Berka von der Dubá stand. Die Geschichte hat es nicht gut gemeint mit den einstigen Burgherren. Zuletzt traten sie gegen Ende des Mittelalters in der Region als Raubritter in Erscheinung. Dann wurde ihre Burg zerstört. Geblieben ist ein romantisches Felsplateau mit uralten Bäumen und einem traumhaften 180-Grad-Blick.

Auch das „Schneiderloch“, eine kleine Höhle mit natürlichem Aussichtsbalkon, suchen und finden wir. Überhaupt lädt der verwinkelte Gipfel des Neuen Wildensteins zum Kraxeln und Erkunden ein. Perfekt für Familien mit bewegungsfreudigen Kindern. Dazu passt das winterliche Verwöhnangebot der hier befindlichen Bergwirtschaft. Mollig warmer Kachelofen, frisch gebackene Waffeln, heiße Schokolade: Das ist hier das Hausrezept gegen kalte Finger und Zehen.

Spannend, wie der Wald sich heilt

Vom Kuhstall geht es hinab ins Tal, dann über den Fluss und wieder hinauf zum Gipfel des Großsteins. Der Wald links und rechts des Weges bietet hier zum Teil einen wilden Anblick. Mehrere trockene Sommer in Folge und eine Borkenkäferplage haben vor einigen Jahren zum Absterben der Fichten geführt. Zurück geblieben ist ein Mikado aus Totholz. Doch zwischen den gefallenen Stämmen wachsen schon überall junge Bäumchen nach. Ein neuer Mischwald entsteht.

„Natürlicher Waldumbau“ nennt die Nationalparkverwaltung den Prozess, der sich hier wie an zahlreichen weiteren Stellen des Schutzgebietes vollzieht. Der Mensch greift nur ein, um Wege und Straßen zu sichern. Ansonsten darf das Holz als natürliches Insektenhotel liegen bleiben. Es ist spannend zu sehen, wie der Wald sich selbst heilt, wenn er darf.

Lost Place Endlerkuppe

Den idyllischen Gipfel des Großsteins mit seinen lauschigen Aussichtspunkten haben wir heute fast für uns allein. Uns eröffnet sich ein grandioser Panoramablick auf den Canyon der Kirnitzsch und die imposante Felsenwelt der Kernzone des Nationalparks. Kurz nach dem Abstieg ändert sich die Szenerie komplett. Statt durch Wald und Felsen laufen wir auf einem Feldweg über offenes Hügelland.

Etwas surreal erscheint das ehemalige Jugenderholungsheim „Endlerkuppe“ mit seinem markanten Wasserturm am Horizont. Erbaut wurde die monumentale Anlage Ende der 1920er Jahre mit hehren ästhetischen und sozialen Absichten. Erziehung durch Schönheit: Das war die Idee. Bald wurde der Komplex jedoch in den Dienst von Krieg und Ideologie gestellt, zuletzt als SED-Parteischule. Seit mehr als 30 Jahren steht er leer und wartet verfallend auf eine neue Bestimmung.

Orte mit Logenplatz

Wir durchqueren das beschauliche Ottendorf. Wie Altendorf, Mittelndorf, Lichtenhain und Saupsdorf, die hier den Nationalpark gen Norden begrenzen, gehört der Ort zu den „Panoramadörfern“ der Sächsischen Schweiz. Ihre exponierte Höhenlage nördlich des Kirnitzschtals erlaubt immer wieder erhebende Fernblicke auf die Bergwelt im Schutzgebiet.

Eine Person mit einer blaugrünen Beanie und einem Rucksack blickt auf eine malerische Landschaft mit sanften Hügeln unter einem bewölkten Himmel. Die Hügel sind mit Gras und vereinzelten Bäumen bedeckt. Der Himmel ist hell und leichte Wolken bilden eine ruhige Kulisse.

In Lichtenhain sausen auf einer abschüssigen Straße zwei Jungs auf ihren Fahrrädern an uns vorbei. Ja, ab jetzt geht es nur noch bergab bis ins Kirnitzschtal, zum Ausgangspunkt Lichtenhainer Wasserfall.

Die Stille im Tal, das letzte Sonnenlicht auf den Bäumen hoch oben am Hang, das Murmeln des Flusses: Das Warten auf die Kirnitzschtalbahn ist meditativ. Nur drei Wanderpärchen finden sich ein. Dann kündigt das markante Quietschen die Ankunft der Bahn an. Noch einmal abkoppeln, rangieren, ankoppeln. Dann dürfen wir einsteigen, „aber bitte nur mit Hausschuhen“, scherzt der Fahrer, der eben noch einmal durchgefegt hat. Es ist die letzte Fahrt des Tages. Ruckelnd und quietschend geht es zurück durch das Tal nach Bad Schandau. Bekannte grüßt der Fahrer unterwegs mit einem kurzen Klingeln; sie antworten mit einem freundlichen Winken. Das Tal und seine Bahn: Das gehört einfach zusammen!

Text und Bilder: Sebastian Thiel

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