Gastbeitrag von Sebastian Thiel

Malerweg Etappe 3 – Wanderbericht

Plötzlich fühlen wir uns ganz klein. Vor uns erhebt sich dieses gewaltige Felsenungetüm. 30 Meter hohe Wände, die noch monumentaler wirken, weil wir sie nur aus der Nähe und der Froschperspektive sehen können. Wie ein riesiges Maul öffnet sich eine horizontale Höhle fast über die gesamte Breite. Verstreut liegende Felsbrocken verleihen der Szene etwas Unheimliches. Ja, das ist es, was die alten Romantiker das Erhabene nannten, dieser Kitzel des Bedrohlichen, dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Natur. Dieses Erhabene, das im Zusammenspiel mit dem Schönen das Malerische ergibt, haben sie in der Sächsischen Schweiz gesucht und gefunden. Und hier und jetzt, an der Gautschgrotte, mutterseelenallein an einem Mittwochmorgen im Juli, können auch wir es spüren.

Eine Person mit langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren sitzt auf einer Bank im Wald und lehnt sich mit ausgestreckten Armen auf der Banklehne zurück. Die Person blickt zu den Bäumen hinauf, die vom Sonnenlicht beleuchtet werden, das durch die Blätter fällt.©: Sebastian Thiel

Auch uns fasziniert die Erhabenheit des Ortes, lässt die Begegnung mit dem Monumentalen nicht kalt. Während die Sonne bereits die Gipfel hell erstrahlen lässt, herrscht hier unten noch kühle Dämmerung. Es ist still um uns herum. Das Rinnsal, das sonst etwas theatralisch vor der Grotte in die Tiefe tröpfelt, ist heute nicht da. Selbst die Vögel schweigen.

Ein Wanderer steht in einer felsigen Schlucht, umgeben von hohen, steilen Klippen und großen Felsbrocken. Die Schluchtwände sind schroff und teilweise mit Grün bedeckt. Die Szene fängt die Weite und raue Schönheit der Natur ein.©: Sebastian Thiel

Seitdem wir vor einer halben Stunde in Hohnstein den Wald betreten haben, ist uns kein einziger Mensch begegnet. Wir sind auf Etappe drei des Malerweges Elbsandsteingebirge unterwegs. Es ist offenbar eines der weniger frequentierten Teilstücke der legendären Wanderroute – und vielleicht eines der am meisten unterschätzten. Waitzdorf, Kohlmühle, Altendorf: eine Reihe unbekannter Orte sind die Wegmarken, die Brand-Aussicht neben der Gautschgrotte der einzige Publikumsmagnet. Außerdem sind Anfang und Ende des Weges nur mit dem Überlandbus zu erreichen. Gerade dieses etwas Sperrige hat uns gereizt.

An einem Holzpfosten hängen zwei grüne Wegweiser mit der Aufschrift „Malerweg“ in weißen und gelben Buchstaben, die auf eine malerische Wanderroute hinweisen. Der Hintergrund ist verschwommen, mit üppigem grünem Laub und Sonnenlicht, das durch die Bäume fällt.©: Sebastian Thiel

Nach zwei Stunden fällt uns auf, dass wir noch immer keinem einzigen Menschen begegnet sind. An einem Tag mit perfektem Wanderwetter mitten in der Ferienzeit erscheint uns das ungewöhnlich. Erst kurz vor der Brand-Baude treffen wir eine erste einsame Wanderin.

Eine Frau in Tanktop, Shorts und leichter Jacke geht einen Pfad durch einen dichten, grünen Wald entlang. Sie lächelt und scheint die Natur zu genießen. Sonnenlicht fällt durch die Bäume und erzeugt einen gesprenkelten Lichteffekt auf dem Pfad.©: Sebastian Thiel

Das Wegstück zwischen Gautschgrotte und Brand ist eher unspektakulär: keine großen Panoramen, keine spannenden Passagen, keine schaurig-schönen Orte. Dafür jede Menge Wald, Stille und herrliche Waldluft. Das Schlagwort „Waldbaden“ kommt in den Sinn. Diese japanische Erfindung, dieses bewusste Eintauchen in die heilsame Präsenz des Baumreiches: Hier könnte man es praktizieren. Dennoch haben wir nach dem beschaulichen Spazieren jetzt Lust auf einen Szenenwechsel, einen neuen Akt. Und prompt bekommen wir ihn.

Eine Person mit einem Rucksack steht von hinten auf einem Aussichtspunkt und blickt auf eine weite Landschaft mit einem großen, baumbedeckten Plateau in der Ferne. Die Szene ist voller üppigem Grün, Feldern und Waldstücken unter einem klaren blauen Himmel.©: Sebastian Thiel

Nach der berühmten Aussicht auf dem Brand beginnt etwas völlig Neues. Es geht bergab. „Ist es noch weit“, fragt uns eine Gruppe Männer, die uns keuchend und schwitzend entgegenkommt. Wir beginnen zu ahnen, was vor uns liegt. Ein Bohlenpfad windet sich in Serpentinen weit und steil hinab ins Tal, genauer in den „Tiefen Grund“. Fast 200 Höhenmeter, fast 900 Stufen. Es sind die berühmten Brandstufen – in unsere Richtung kein Problem, im Aufstieg für Ungeübte sicher eine Herausforderung.

Eine Person mit kurzen Haaren und einem Rucksack geht in einem Waldstück eine Holztreppe hinunter. Der Boden ist mit Laub und Ästen bedeckt, große Steine säumen den Weg. Sonnenlicht fällt durch das dichte Grün und schafft eine ruhige Atmosphäre.©: Sebastian Thiel

Doch auch wir sollen unseren Härtetest gleich bekommen. Nach einem kurzen Stück entlang einer Straße zeigt der Wegweiser auf einen unscheinbaren Pfad am Hang. Hier geht es nun fast genauso steil hoch, wie eben hinab. Doch der Weg ist ungleich romantischer, grüner, uriger. Mächtige Felsen liegen am Wegesrand, uralte Baumriesen spenden uns Schatten.

Eine Person mit Rucksack und grauer Jacke wandert durch einen üppigen Wald. Sie hält sich an einem Holzgeländer fest und blickt in Richtung des Sonnenlichts, das durch die Bäume fällt. Die Umgebung ist voller grüner Blätter.©: Sebastian Thiel

Hoch stehen Farn und Johanniskraut. Dschungelgefühl kommt auf. Am Ende des Aufstiegs ist Waitzdorf erreicht, eine echte Dorfschönheit mit Apfelbäumen, blühenden Rosenbüschen, Bergwiesen und Ententeich. Eine junge Katze heißt uns mauzend willkommen. Wir können gar nicht fassen, wie schön und friedlich es hier oben ist.

Eine Frau mit blondem Haar sitzt auf einer Bank und blickt auf eine malerische Landschaft mit einem großen felsigen Hügel in der Ferne. Die Landschaft umfasst grüne Felder, Waldstücke und sanfte Hügel unter einem bewölkten Himmel.©: Sebastian Thiel

„Hier jehts zur schönsten Aussicht der Sächsischen Schweiz“, verrät uns ein offenbar nicht aus der Region stammender Wanderer, als wir kurz nach Ortsausgang die Karte studieren. Die Aussicht ist tatsächlich beeindruckend. Wir sehen sogar die Brandbaude, die wir vor fast zwei Stunden verlassen hatten. Sie scheint, wie ein Trugbild, eine Fata Morgana für hungrige und durstige Wanderer, nur einen Katzensprung entfernt.

Eine Person mit langen Haaren, die ein schwarzes Tanktop, Shorts und einen Rucksack trägt, steht in einem üppigen Wald und blickt nach oben. Sie ist von Grün und hohen Bäumen umgeben, durch deren Blätter das Sonnenlicht fällt.©: Sebastian Thiel

Bald geht es auf sandigen Wegen sanft aber kontinuierlich abwärts bis in den Kohlichtgraben. Uns erwartet ein kleines, grünes Wanderparadies, eine Miniaturlandschaft, wie von einem genialen Landschaftsarchitekten geschaffen. Neben dem Weg plätschert ein klares Bächlein, das ab und zu von einer kleinen Brücke überspannt wird. Die steilen Felswände links und rechts geben dem Ort etwas Behagliches, Geschütztes, Verwunschenes.

Eine Frau mit Rucksack und Sportkleidung kniet neben einem kleinen, klaren Bach in einem üppigen Wald. Sie streckt ihre Hand aus, um das Wasser zu berühren, umgeben von Grün und gesprenkeltem Sonnenlicht, das durch die Bäume fällt.©: Sebastian Thiel

Im Örtchen Kohlmühle gibt uns die Idylle wieder her. Ein überraschender Blickfang ist das Industriedenkmal einer verlassenen Linoleumfabrik. Es scheint, das ganze Dorf würde in das Innere dieses gewaltigen historischen Klinkerbaus passen.

Altes Industriegebäude aus Backstein mit einem verrosteten Metallturm, umgeben von üppigen grünen Bäumen und bewaldeten Hügeln im Hintergrund. Der Himmel ist klar und blau und die Gesamtszenerie vermittelt ein rustikales, historisches Flair.©: Sebastian Thiel

Nach Kohlmühle beginnt der letzte Akt unsere Wanderabenteuers. Wir folgen der Sebnitz und den Gleisen der Nationalparkbahn. Dann kämpfen wir uns noch einmal aus dem Tal, am steilen Hang des Pinsenbergs entlang immer höher, bis wir fast wieder auf einer Höhe mit Brand und Waitzdorf sind.

Eine Person mit einem Rucksack geht unter einem hellen Himmel auf einem üppig grünen Waldweg, umgeben von Farnen und Bäumen. Die Person ist von hinten zu sehen, eingebettet in die Naturlandschaft.©: Sebastian Thiel

Kurz vor Altendorf, unserem Etappenziel, verführt uns ein Hinweisschild zu einem Abstecher auf den Adamsberg. Wieder finden wir einen spektakulären und dennoch einsamen Aussichtspunkt. Ein episches Panorama im Breitbild-Format mit mehr als 50 Bergen liegt vor uns. Über uns blauer Himmel mit weißen Wolken. Tief unter uns bringen Mähdrescher die Ernte ein. Ein schönes Schlussbild.

Eine Person mit Rucksack steht auf einem üppigen, grünen Pfad und genießt die weite Aussicht auf ferne Hügel und Landschaft unter einem teilweise bewölkten Himmel. Die umgebende Vegetation ist dicht mit Farnen und anderen Grünpflanzen.©: Sebastian Thiel

alle Fotos: Sebastian Thiel

Author

Comments are closed.