Gastbeitrag von Sebastian Thiel

Malerweg Etappe 6 – ein Wanderbericht

Er zählt zu den schönsten Wanderwegen in Deutschland: der Malerweg Elbsandsteingebirge. Jede seiner acht Tagesetappen öffnet ein neues Kapitel, erzählt eine neue Geschichte. Etappe sechs, zum Beispiel, entführt aus dem Elbtal hinauf ins weite Land der Tafelberge. Wer sie läuft, kann gleich mehrere dieser merkwürdigen Gebilde bezwingen, den vielleicht berühmtesten Felsen der Kunstgeschichte entdecken, Höhlen erkunden und eine der erstaunlichsten Dorfkirchen Sachsens besichtigen.

©: Sebastian Thiel

Wie bitte? Dieser unscheinbare Brocken soll der Felsen sein, von dem aus Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ seit über 200 Jahren über die Landschaft schaut? Wir sind perplex. In unserem Wanderführer stand nichts von dieser Überraschung am Wegesrand. Auf einer Infotafel lesen wir, dass der Stein über einen Umweg in das Gemälde gekommen ist. Am 3. Juni 1813, einem Donnerstag, sitzt der später berühmte Romantiker an genau dieser Stelle und zeichnet mit Bleistift das markante Profil des Blocks. Als er einige Jahre später im Atelier die Landschaft des „Wanderers“ aus verschiedenen Felsen der Sächsischen Schweiz komponiert, greift er auf die Skizze zurück.

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Es ist ein Dienstagmorgen im Juli. Wir sind auf dem Malerweg Elbsandsteingebirge unterwegs – genauer auf Etappe 6, die von Schmilka nach Gohrisch führt. Der Tafelberg Kaiserkrone (351 Meter), an dessen Aufstieg sich Friedrichs Felsen versteckt, liegt nicht direkt am Weg, aber so verführerisch nah, dass wir nicht widerstehen können. Auf dem Gipfel bietet sich uns im sanften Morgenlicht das erste Panoramaerlebnis des Tages. Auf der einen Seite liegt Schöna. Wir hören leise das beharrliche Krähen eines Hahns, der versucht, das noch schlafende Dorf zu wecken. Auf der anderen Seite blicken wir auf den Zirkelstein (385 Meter), der mit seinem kreisrunden Sockel aus Wald und seinem zierlichen Felsenhütchen surreal adrett in der Landschaft steht.

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Tafelberge: Das soll heute unser Thema sein. Man sagt, es stehen nirgendwo auf der Erde diese kuriosen und eher seltenen Bergformen so dicht und zahlreich wie hier, südlich der Elbe in der Sächsischen Schweiz. Die Höhen sind moderat. So können ambitionierte Wanderer problemlos bei einer Tour mehrere Gipfel stürmen. Das haben auch wir vor. Die Kaiserkrone soll nur der Auftakt sein. Papststein (451 Meter) und Gohrisch (440 Meter) werden das Finale. Zwischendrin wollen wir noch ein Stück den Kleinhennersdorfer Stein (392 Meter) hinaufsteigen, um die bekannte Lichterhöhle zu erkunden. Insgesamt 17 Kilometer ist die Etappe ohne Extratouren lang. Sieben Stunden gibt unser Wanderführer dafür an. Wir rechnen mit Abstechern und reichlich Fotozeit mit mindestens zehn.

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Aus dem Elbtal geht es sofort steil bergan auf eine Ebene. Wer mit der Fähre von der wildromantischen Nationalparkseite herüberkommt, erlebt einen drastischen Szenenwechsel. Statt durch verwinkelte Felsreviere und mystische Schluchten geht es jetzt über weites, sonniges Hügelland mit verstreut liegenden Dörfern und den majestätischen Tafelbergen. In der Ferne, im bläulichen Dunst auf der anderen Elbseite, stehen die Schrammsteine wie die Mauer zum Reich eines bösen Zauberers.

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Einer der faszinierendsten Orte an der Etappe ist die Kirche von Reinhardtsdorf. Schon von Weitem weist ihr blassblaue gestrichenes Türmchen den Weg. Als wir hier gegen Vormittag ankommen, ist es bereits schwülwarm. Umso wohltuender ist der Empfang, den uns das kleine Gotteshaus bereitet: schattig, kühl und mit dem antik-sakralen Duft, den nur alten Dorfkirchen haben.

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Wir treffen hier Evelin Arnold, Urreinhardtsdorferin, wie sie sagt, Mitglied des Kirchenvorstands und ehrenamtliche Kirchenführerin. Sie erklärt uns die überwältigende Bilderflut ringsum. An den Emporen werden in 50 Gemälden Schlüsselstellen aus dem Alten und Neuen Testament erzählt. Jedes einzelne Bild versehen mit dem Namen ihres Stifters. Im Hintergrund vieler der zwischen 1681 und 1711 gemalten Bilder ist die Felsenwelt der Sächsischen Schweiz zu entdecken. Es sind die ältesten künstlerischen Darstellungen der Region. An den original erhaltenen Kirchenbänken verraten noch alte Inschriften und Namensschilder, wer hier einst seinen Stammplatz hatte. „Anna Borschin, 1684“ entziffern wir auf einer Bank. Größter Schatz ist ein hier ausgestellter, 1521 geweihter Flügelaltar. Es ist einer der wenigen in der Region, der den Bildersturm der Reformationszeit überlebt hat.

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Aus der geplanten Stippvisite in der frisch restaurierten Kirche wird eine Stunde – und wir haben noch längst nicht alle Geschichten gehört. Doch wir müssen weiter. Drei Viertel der für heute geplanten Strecke und zwei Drittel der Höhenmeter liegen noch vor uns. Für den Abend ist ein Gewitter angekündigt.

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Draußen flirrt jetzt die Hitze über den Rapsfeldern, auf denen die reifen, graubraunen Schoten auf die Ernte warten. Grillen und Feldlerchen singen ihr altes Lied von Sommer und Ferien auf dem Lande. Bald geht es durch den Wald hinab nach Krippen, wo ein Kirchlein zum Mittag läutet, und kurz danach wieder hinauf und vorbei an der romantisch gelegenen und liebevoll restaurierten Liethenmühle. Wir machen noch einen Abstecher zur verblüffend kalten Lichterhöhle am Kleinhennersdorfer Stein, bevor der zunehmend steile Aufstieg zum Papststein beginnt.

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„Nicht mehr weit! Eine Stiege und dann seid ihr da! Alles, was ihr euch wünscht!“ ruft uns ein Wandererpaar kurz vor dem Gipfel ermutigend zu. Tatsächlich schimmert bald die urige Bergbaude durch die Bäume. Wir hören schon das verheißungsvolle Klingen von Gläsern, das Klappern von Geschirr. Kurz darauf sitzen wir bei Johannisbeerschorle und Eiskaffee auf der Terrasse und blicken ein bisschen stolz über das „Reich der Steine“, wie die Gegend um den Kurort Gohrisch wegen der zahlreichen Tafelberge heißt. Der unwiderstehliche Duft der legendären Papststeinschen Knoblauchspaghetti weht vom Nachbartisch herüber.

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Noch einmal geht es jetzt hinab und noch einmal bergauf. Der Gohrisch soll unser letzter Gipfel für heute sein. Es ist mit seinen vielen Aussichtspunkten auch der schönste. Eine dreiviertel Stunde später lassen wir uns kaputt aber glücklich auf die Polstersitze des klimatisierten Überlandbusses fallen, der uns vom Kurort zurück zur S-Bahn bringt. War das tatsächlich nur ein Tag? Die Etappe, die auf der Karte so unspektakulär aussieht, hat uns gefordert – und immer wieder überrascht.

©: Sebastian Thiel

alle Fotos: Sebastian Thiel

Bildnachweise:

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