Etwa 120 Vogelarten brüten in der Sächsischen Schweiz. Die meisten davon bekommt man selten zu Gesicht, aber viele kann man hören. Besonders jetzt im Frühjahr, wenn die Männchen mit leidenschaftlichen Liebesliedern auf Partnersuche gehen. Doch was genau zwitschert da alles? Eine geführte Vogelstimmenwanderung ist die Gelegenheit, die wichtigsten Protagonisten und ihr Repertoire kennen zu lernen. Wir haben für euch eine mitgemacht.

Was für ein wunderschöner Morgen! Und was für ein herrlicher Ort! Das sanfte Licht der noch tief stehenden Frühlingssonne fällt auf adrette Fachwerkhäuser und gepflegte Gärten, auf üppig blühende Obstbäume und Sandsteinmauern. Pferde grasen auf taufrischen Weiden. In der Ferne, noch etwas im Nebel, bildet die majestätische Felsenwelt des Elbsandsteingebirges eine effektvolle Kulisse. Es ist Sonntag, sieben Uhr, und wir sind in Lichtenhain, einem 500-Seelen-Ort im Hochland zwischen Sebnitz und Bad Schandau am Rande des Nationalparks Sächsische Schweiz. Wahrscheinlich zeigt sich das Dorf nie fotogener als genau jetzt. Doch wir sind heute nicht wegen des Ortes hier, sondern wegen dem, was in ihm und um ihn herum alles zwitschert, piepst und tiriliert.

Vogelstimmenwanderung (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Vogelstimmenwanderung (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Die Straßen und Wege sind noch leer. Legitim an einem Sonntag in der Frühe. Nur am Brunnen vor dem Erbgericht herrscht bereits Leben. Etwa 20 Menschen stehen hier in kleinen Grüppchen zusammen. Es ist ein buntes Häufchen: Kinder mit ihren Eltern, befreundete Paare, Senioren, Einheimische, Touristen.

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg

„Wir gehen erstmal ein Stück“, sagt ein Mann mit hellgrauer Safariweste und Fernglas über der Schulter. Die Gruppe setzt sich in Bewegung. Vorzustellen braucht sich der Wanderführer nicht. Jeder, der heute hier dabei ist, weiß, mit wem er es zu tun hat: Ulrich Augst, Vogelexperte bei der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz. Es gibt nur wenige, welche die faszinierende Vogelwelt der Sächsischen Schweiz so gut kennen, wie er. Und mit ihm unterwegs zu sein, ist für jeden ein Privileg, der sich auch nur entfernt für das Thema interessiert. Heute leitet er die „Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg“, die das Nationalparkzentrum Bad Schandau organisiert hat.

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Auf unserem Weg durch die offene Landschaft zu unserer ersten Station begleitet uns der unermüdliche Gesang der Feldlerche. Wir erfahren, dass sie durch ihr Lied ihr Revier markiert. Kurz darauf hören wir das Geschnatter der Wacholderdrossel, ein etwa amselgroßer Zugvogel. Er brütet in Kolonien, auch hier in Lichtenhain, und hat ein erstaunliches Abwehrverhalten, sagt Aust. Angreifer, welche die Brut bedrohen, zum Beispiel Erzfeind Sperber, werden von den Altvögeln in einer gemeinsamen Aktion gezielt angekotet. Eine nicht ganz feine, aber offenbar effektive Strategie. Er habe einmal, so der Ornithologe, einen Sperber gesehen, dessen Gefieder dadurch so verklebt war, dass er nicht mehr fliegen konnte.

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Immer wieder halten wir inne und lauschen in den Wald hinein, den Feldstecher im Anschlag. Wir hören Buchfink, Amsel und Zilpzalp – der singt, wie er heißt–, dann auch das „Lachen“ des Grünspechtes.

Das zarte Pfeifen des Waldbaumläufers

„Wenn wir Glück haben, hören wir den Waldbaumläufer“, sagt Augst. „Jetzt, die hohe Stimme, das ist er.“ Ein zartes Pfeifen, dem Gesang der Blaumeise nicht unähnlich, klingt aus dem Wald. „Das ist wirklich ein Glücksfall. Eigentlich ist der längst durch. Im März ist er überall zu hören und dann normalerweise nur bis Mitte April.“ Aber nach diesem verrückten Frühjahr ist manches anders. Erst die sibirische Kälte Anfang März und nun der verfrühte Sommer im April haben die Zeitpläne der Vögel durcheinander gewirbelt. Manche beginnen gerade erst mit dem Nestbau, während andere Artgenossen schon längst Junge haben.

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Immer wieder überrascht Augst mit kuriosen Fakten aus der Vogelwelt. So erfahren wir zum Beispiel, dass Vögeln ihr Lied keineswegs in die Wiege gelegt ist. Auch sie müssen es erst lernen. So kennen junge Zwergfliegenschnäpper nur die erste Strophe des Liedes ihrer Art, ältere beherrschen zwei und nur die Senioren können alle drei Strophen singen. Und Vögel, die von Menschen aufgezogen werden, kennen oft überhaupt kein Lied.

Wir laufen mittlerweile auf einem schmalen Pfad durch dichten Wald. An einem kleinen Teich hören wir das Zwitschern der Goldammer. Später den Warnruf der Mönchsgrasmücke, von dem wir Menschen viele Frequenzen gar nicht hören. Wir erfahren, dass die Amsel zum Brüten einen „Turbo“ aktiviert, das heißt ihren Stoffwechsel erhöht, um die erforderliche Körperwärme zu produzieren. Und wir lernen, dass manche Bodenbrüter ihren Herzschlag und damit auch ihre Temperatur bei Gefahr reduzieren können, um für Fressfeinde weniger leicht wahrnehmbar zu sein.

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„Wenn wir ganz still sind, hören wir jetzt das Sommergoldhähnchen“, sagt unser Führer. Und da ist es, ein kurzes Lied bestehend aus mehreren, sehr hohen Tönen. Das Sommergoldhähnchen wiegt nur etwa vier bis sechs Gramm. Es ist einer der kleinsten Vögel Europas. Charakteristisch ist der leuchtend gelbe Streifen auf dem Kopf. Im Oktober zieht es bis nach Südeuropa und Nordafrika um im April wieder zu uns zum Brüten zu kommen. Auch seinen ebenfalls winzigen Verwandten, das Wintergoldhähnchen, das allerdings im Winter bei uns bleibt, hören wir später.

„Jetzt wieder die Mönchsgrasmücke, aber ohne Hauptschlag“. Überhaupt scheinen Vögel sehr unterschiedlich sorgfältig zu sein, was die Umsetzung ihres Gesanges anbetrifft. Und sehr ökonomisch. Ist kein Weibchen in der Nähe, wird oft nur eine Kurzvariante dargeboten, verrät Augst. Nicht jedes Lied wird von Anfang an gesungen und auch nicht jedes beendet. „Da der Baumpieper. Jetzt im Flug singt er sein ganzes Lied.“ Fröhlich zwitschernd fliegt das Vögelchen über die Lichtung. „Und nun sitzt er wieder auf seinem Stängel und singt nur noch ein Viertel.“

Auch Vögel haben ihre Launen

Es gibt regionale Dialekte. Und verschiedene Temperamente. „Zum Beispiel bei den Tannenmeisen, jede singt anders“, sagt Augst. „Manche betonen ihr Lied richtig, andere schnattern es einfach runter.“ Und manche Vogelarten haben gleich gar kein eigenes Lied. Sie leben vom Kopieren, wie das Blaukehlchen, das seine Strophen aus allem zusammensetzt, was es hört.

Vogelstimmenwanderung um den Panoramaweg (c) ThielPR, Sebastian Thiel©: Sebastian Thiel

Wir folgen dem Panoramaweg und durchqueren dabei ein sehr abwechslungsreiches Stück Nationalpark. Mal laufen wir über offenes Land, mal durch dichten Wald, überqueren einen Bach und blicken einen steilen Abhang hinab ins Kirnitzschtal. Die vier Stunden der Wanderung vergehen wie im Fluge.

Sommerlich warm ist es geworden, als wir am Vormittag wieder am Ausgangspunkt in Lichtenhain ankommen. Der Zauber des taufrischen Frühlingsmorgens ist verflogen. Die Lichtenhainer kümmern sich um ihre Vorgärten. Der Imbiss im Erbgericht lädt zum Softeis. Die Wanderparkplätze füllen sich. Und wir? Wir treten glücklich und mit vielen zarten Melodien im Ohr die Rückreise an.

Naturkundliche Wanderungen im Nationalpark Sächsische Schweiz

Das Nationalparkzentrum Sächsische Schweiz in Bad Schandau bietet in der Saison vielfältige spannende naturkundliche Wanderungen und Exkursionen zu den Themen Geologie, Flora, Fauna und Geschichte der Sächsischen und Böhmischen Schweiz. Aktuelle Angebote, Termine und Anmeldekontakt unter: www.nationalpark-saechsische-schweiz.de

Text: Sebastian Thiel

Fotos:
alle Fotos dieses Blogartikels © Sebastian Thiel

Bildnachweise:

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