Gastbeitrag von Sebastian Thiel

Es ist der magischste Moment dieser Wanderung – und er kommt völlig unerwartet. Plötzlich stehen wir an diesem märchenhaften Ort, zwischen massigen Felsentürmen wie zu Füßen eines gigantischen, uralten Korallenriffs. Unter uns feinster Meeressand, über uns zart blauer Himmel. Es ist absolut still und die Sonne steht an diesem glasklaren Spätwintervormittag an der effektvollsten Stelle – genau in der Mitte der Schlucht. Zwischen den hohen Wänden aus 170 Millionen Jahre altem Sandstein fühlen wir uns winzig und unbedeutend – aber auch sicher und behütet. Hier schweigt selbst der Wind, der uns heute beständig begleitet. Wir sind nur ein paar Minuten hier. Aber der Eindruck dieses friedvollen Ortes wirkt noch lange nach.

Zwischen den imposanten Felswänden schweigt selbst der Wind.

©: Sebastian Thiel

Eigentlich hätten wir gar nicht hier unten sein sollen. Der Wanderweg, dem wir folgen, verläuft weiter oben. Nur kurz die berühmten Herkulessäulen aus der Nähe betrachten, das war die Idee. Doch immer neue fotogene Winkel haben uns wie die Blumen das Rotkäppchen immer von der eigentlich geplanten Strecke abgebracht. Zum Glück. Bald sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Es ist die Route Nummer 16 mit dem Titel »Herkulessäulen-Johanniswacht-Runde« aus der offiziellen Winterwanderkarte des Tourismusverbandes Sächsische Schweiz. Sie soll uns durch ein besonders reizvolles Stück des Bielatals führen: vom Wanderparkplatz Schweizermühle auf der Ostseite des Tales zur Einkehr Ottomühle und dann auf der Westseite wieder zurück.

Verfallene Relikte einer goldenen Ära

©: Sebastian Thiel

Das Bielatal hat eine spannende Geschichte. Eine handgeschriebene Infotafel am Parkplatz erzählt von der glorreichen Vergangenheit als mondäner Kurort. Mitte des 19. Jahrhunderts war die hiesige Kaltwasserheilanstalt heißbegehrt. Gekrönte Häupter aus halb Europa gaben sich hier die Klinke in die Hand. Doch dieses Kapitel endete vor über 100 Jahren. Kaltwasserkuren kamen aus der Mode – und ins Bielatal kehrte die Ruhe zurück. Heute ist der Flecken mit seinen bizarren Felsentürmen vor allem als Kletterrevier bekannt. Beim Wandern findet man sie noch, die Relikte der goldenen Ära. Dazu gehören die Reste der alten Kuranlagen oder das neogotische Türmchen am Rande des Aufstiegs zur Kaiser-Wilhelm-Feste und natürlich die Feste selbst. Die im Jahr 1880 am beliebten »Bielablick« im historisierenden Stil erbaute Minibastion ist der vielleicht merkwürdigste Aussichtspavillon in der gesamten Sächsischen Schweiz. Jeder im Ort kennt die Legende vom Rosenthaler Baumeister Kaiser, der sich durch eine Stammtischwette zu diesem Bau hinreißen ließ.

Immer neue Blickwinkel auf das Tal und seine Felsenwelt

Die Feste, die keine ist, ist der Auftakt zu einer Serie reizvoller Aussichtspunkte, an denen sich immer neue fotogene Blickwinkel auf das Tal und seine Felsenwelt bieten. Der spektakulärste ist der Gipfel des Sachsensteins, vis-a-vis der Feste auf der anderen Seite des Tals. Wie ein Obelisk steht der Felsen in der Landschaft. Stabile Eisenleitern führen nach oben – durch Felsspalten, die teilweise so eng sind, dass sie nur ohne Rucksack passiert werden können.
Auf dem Gipfel belohnt ein traumhaftes 360-Grad-Panorama die Mühen. Zu jeder Winterwanderung gehört eine gemütliche Einkehr. Das ist für uns heute die Ottomühle. Als wir hier leicht unter kühlt ankommen, lodert bereits ein prächtiges Feuer im Kamin der Gaststube. Bei einer Tasse Kakao erzählt uns Inhaberin Kathrin Ogon wie sie und ihr Mann in den letzten Jahren wieder ein Schmuckstück aus dem traditionsreichen Haus gemacht haben. Im Nebengebäude sind derweil die Handwerker zugange. Die lange Geschichte der Ottomühle als Basislager für Naturfreunde wird weitergeschrieben. Wie viele Portionen Soljanka hier wohl schon hungrigen Wanderern, Kletterern und Radfahrern serviert wurden? Die DDR-Kultsuppe steht bis heute auf der Karte.

Stippvisite bei einem duftenden Kleinod

Auch nach dem offiziellen Ende unserer Wanderung dürfen wir uns noch einmal an einem Kaminfeuer wärmen. Das knackt und knistert diesmal hinter der Scheibe eines Öfchens im kleinen, liebevoll eingerichteten Waschhaus der Seifenmanufaktur »Seifenschneider« nur fünf Autominuten vom Wanderparkplatz Schweizermühle entfernt. Inhaberin Kathleen Schneider hat hier ein duftendes Kleinod geschaffen. Luxuriöse Seifen in 30 exotischen Sorten sowie Körperbutter, Sprudel- und Cremebäder stellt der Ein-Frau-Betrieb in traditioneller Handarbeit aus pflanzlichen Ölen und natürlichen Zutaten her. Da gerade alles für einen Seifenworkshop hergerichtet ist, bekommen auch wir einen kleinen Einblick in die Kunst der Seifenherstellung. »Seife anrühren ist so einfach wie Pudding kochen«, erklärt uns die Bielatalerin. Im Lädchen nebenan decken wir uns mit duftigen Mitbringseln ein, darunter ist natürlich auch ein Stück »Sandsteinseife« mit Sand aus der Region. »Den sammle ich beim Wandern«, lacht Kathleen Schneider. Wie praktisch. So können auch wir eine Prise Bielatal, eine Prise Urlaub mit nachhause, mit zurück in den Alltag nehmen.

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