Felstunnel und Höhlen haben etwas unbeschreiblich Magisches. Sie sind wie Schlupflöcher in eine andere Welt. Drinnen steht die Zeit still. Als Kinder wussten wir das. Wir haben es nur vergessen. Aber im Elbsandsteingebirge gibt es Wege, um sich zu erinnern.

Es hat sich herumgesprochen, dass Zeitreisen gar nicht so abwegig sind, wie man früher dachte. Rein theoretisch und gemäß neuesten und ganz steilen wissenschaftlichen Thesen könnte man womöglich durch ein sogenanntes kosmisches Wurmloch in eine andere Wirklichkeit gelangen – oder gleich in ein anderes Universum. Das Raumschiff, das man benötigen würde, müsste freilich so schnell wie Licht unterwegs sein und gewaltige Kräfte aushalten. Aber das ist hohe Physik und so kompliziert, dass es nur Erwachsene verstehen.

Kinder kennen viel einfachere Wege für solche Abenteuer. Sie finden Wurmlöcher und Zeitschleusen nahezu an jedem Ort und auf Schritt und Tritt. Ganz ohne Raumschiff können sie annähernd mit Lichtgeschwindigkeit zwischen Welten und Wirklichkeiten hin- und herreisen, als wäre das so leicht wie ein Sprung über den Gartenzaun. Man muss ihnen nur zuschauen und versuchen, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Manchmal beginnt eine solche Reise vielleicht im Kleiderschrank. Manchmal zwischen den Hagebuttensträuchern oder hinter der Schuppentür. Und sie könnte auch problemlos auf einem Parkplatz im Elbsandsteingebirge beginnen. An der Schweizermühle im Bielatal zum Beispiel.

Von hier kann man ganz gemütlich und kindgerecht linkshaltend ein paar Stufen bergauf und dann dem gelben Punkt folgend an der Felskante entlang Richtung Süden und in die Vergangenheit wandern – und später umgekehrt auf der gegenüberliegenden Talseite und mit dem gelben Strich des Forststeigs wieder in die Gegenwart zurückkehren. Die ganze Expedition hat ihren Umkehrpunkt an der Bennohöhle unweit der Ottomühle, das sind hin und zurück nur rund fünf Kilometer und dauert weniger als drei Stunden. Und trotzdem hat man auf diesem kurzen Stück eine andere Welt gesehen: die Sächsische Schweiz in grauer Vorzeit, vor 90 Millionen Jahren.

Um zu begreifen, wie das funktioniert, muss man die beiden Zeitschleusen am Anfang und Ende des Weges beachten. Sie sind zwar unsichtbar, aber wenn man offen für solche Betrachtungsweisen ist, kann man durchaus ihre Wirkung spüren. Eine befindet sich kurz vorm Eingang zur Felsengasse an den Herkulessäulen – die andere auf der gegenüberliegenden Talseite, etwa in Höhe des Tunnelwegs an der Johanniswacht. Auf dem Hinweg begegnet einem schon nach einer Viertelstunde die erste Merkwürdigkeit: Verwegen auf einer Klippe hoch überm Tal thront die sogenannte Kaiser-Wilhelm-Feste, ein aus Sandsteinen gemauerter Pavillon mit Zinnen und Scharten. Einer Tafel im Inneren zufolge wurde er um 1880 von einem Rosenthaler Baumeister errichtet, die Idee soll einer bierseligen Stammtischrunde entsprungen sein. Viel wahrscheinlicher handelt es sich dabei aber um das sagenumwobene Torhaus an der Pforte zur Vergangenheit – und dorthin soll unser Weg ja auch führen. Bald darauf biegt er rechts scharf um die Ecke und taucht zwischen Felsen und Blöcken hinab ins Erdmittelalter und auf den Meeresgrund.

Die beiden Herkulessäulen sind in Wirklichkeit keine Säulen, sondern echter Meeresboden! Vor 90 Millionen Jahren war über unseren Köpfen ein Ozean – Tethys, das kreidezeitliche Südmeer, seine Küste verlief gar nicht weit von hier in der Nähe von Hohnstein. Sachsen und Europa sind um diese Zeit eine Welt aus kleinen Inseln. Die Sächsische Schweiz existiert noch nicht. Erst Millionen Jahre später ist das Meer verschwunden und der einstige Ozeanboden zu Stein geworden. Noch später haben Wasser, Wind und Schwerkraft aus der massiven Platte eine zerklüftete Mosaiklandschaft aus grauweißen Türmen und Tafelbergen erschaffen, die heute auf der Welt ihresgleichen sucht: das Elbsandsteingebirge.

Im Grunde fing alles mit der Elbe an. Ohne sie hätten die sächsischen Canyons und Tafelberge nie entstehen können. Vor etwa 16 Millionen Jahren beginnt der Fluss sich mit beharrlicher Kraft in den 700 Meter dicken Sedimentsockel einzugraben und eine neue Landschaft zu modellieren, mit mächtigen Plateaus, hohen Steilwänden und ausgedehnten Ebenheiten. Mal gräbt er langsam in die Breite, mal schnell in die Tiefe – aber immer unablässig wie ein Bildhauer, der eine monumentale Skulptur erschaffen will, Jahrmillionen lang. Der Fluss und seine Nebengewässer – darunter die Biela – setzen ein Zerstörungswerk in Gang, das erst abgeschlossen sein wird, wenn das Gebirge wieder gänzlich zu dem geworden ist, was es in seiner fernen Vergangenheit einmal war – Sand. 

Inzwischen haben wir bachaufwärts den Ortsteil Ottomühle erreicht. Keine fünf Minuten später und etwa 100 Meter vor der Bergwachtstation schlägt sich rechts zwischen den Häusern hindurch ein kleiner Weg seitwärts ins Gebüsch und bergauf. Ein Stück oberhalb vom Dorf befindet sich eine der größten Höhlen der Sächsischen Schweiz: die Bennohöhle. Drinnen riecht es modrig, die Luft ist süß und kühl. Zwei Stockwerke sind problemlos begehbar. In einer Felsnische im Untergeschoss welkt in einer nicht ganz luftdichten Plastedose das Höhlenbuch vor sich hin. Es ist still – geradezu zeitlos still.

Die Bennohöhle, ein Ort jenseits der Zeit? Es gibt einen alten Kinderfilm, der eine solche Geschichte erzählt – von einer Reise zurück in die Vergangenheit. Sie beginnt tief im Schoß eines Berges. Der Film entstand 1955 unter der Regie von Karel Zeman in tschechoslowakischen Filmstudios und handelt von vier Jungen, die herausfinden wollen, wie das Leben auf die Erde kam. In einer magischen Höhle finden sie den Fluss der Zeit, der – wenn man ihn rückwärts befährt – zum Anfang aller Dinge zurückführt.

Wir hingegen kehren an dieser Stelle um und hinaus ans Licht und nehmen wieder Kurs nach Norden Richtung Schweizermühle – immer dem gelb markierten Forststeig folgend. Aber wir müssen noch durch die zweite Zeitschleuse an der Johanniswacht, um endgültig in die Gegenwart zurück zu gelangen. Gleich unterhalb der Aussicht mäandert ein enger, verwinkelter Treppenpfad zwischen Felsen und unter Blöcken hindurch den Hang hinunter. An einer Stelle ist eine Jahreszahl in den Stein gehauen: 1850. Vielleicht ist es auch keine Jahreszahl, sondern eine Entfernungsangabe – oder eine magische Ziffernfolge, an der die Zeit wieder in ihr normales Bett zurückfällt. Wer will das schon wissen. Wenn man fünf Minuten später aus dem Labyrinth der Felsen heraus und auf die Straße im Bielatal tritt, hat man das Gefühl, dass eine ganze Menge hinter einem liegt. Weit mehr als fünf Kilometer.

Kurzbeschreibung:

Ein idyllisches Tal, in dem die Zeit stehen geblieben scheint: das Bielatal. Zwischen der Schweizer- und der Ottomühle locken auf beiden Talseiten abenteuerliche Felsengassen, Tunnel, Winkeltreppen und Blockwege, die besonders Kindern viel Spaß machen. Vom Parkplatz an der Schweizermühle geht’s zunächst linkshaltend bergauf nach Süden (markiert mit gelbem Punkt und blauem Strich), vorbei an der Kaiser-Wilhelm-Feste (Sandsteinpavillon mit Aussicht) und dann die Felsengasse hinunter zu den beiden Herkulessäulen, einem Wahrzeichen der Sächsischen Schweiz. Ab dort läuft man bequem am Bach entlang bis zur Ottomühle und daran vorbei weiter Richtung Bergwachtstation. 100 Meter davor rechts Pfad den Hang hoch in den Wald und zur Bennohöhle (große, begehbare Trümmerhöhle). Hier umkehren und auf dem Forststeig (gelber Strich) und über die Anhöhen oberhalb vom Dorf zurück Richtung Norden, später an der Johanniswacht (Aussicht!) über Treppen und Tunnelwege absteigen zur Straße im Tal – und dieser folgend zurück zum Parkplatz.

  • Distanz 5,5 Kilometer
  • 192 Höhenmeter
  • Wanderzeit ca. 2,5 h (ohne Rast)
  • Charakter: für Kinder leicht und abenteuerlich!
  • Einkehrmöglichkeiten: u.a. „Räuberhütte“ an der Schweizermühle, „Daxensteinbaude“ an der Ottomühle, Pension und Gasthof „Ottomühle“
  • Parkplatz: direkt an der Schweizermühle/Räuberhütte oder Wanderparkplatz unter den Herkulessäulen
  • ÖPNV:  S-Bahn bis Königstein, dann mit der Bus-Linie 242 Königstein-Rosenthal. Fahrplaninfos: www.rvsoe.de

Mehr Infos, weiterführende Tipps und Route zum Download: www.sandsteinblogger.de

©: H.Landgraf

Zum Autor Hartmut Landgraf lebt und arbeitet als freier Journalist, Texter und Herausgeber des Online-Magazins SANDSTEINBLOGGER.DE in Dresden. Die Touren- und Reportage-Website hat ihren Schwerpunkt im Elbsandsteingebirge, ist thematisch aber auch in anderen Ecken der Welt unterwegs. 2016 war das Magazin Medienpartner des Deutschen Wandertages und wurde 2017 in Innsbruck mit dem traditionsreichen BergWelten-Journalismuspreis ausgezeichnet.

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alle Fotos dieses Blogartikels © Hartmut Landgraf, SANDSTEINBLOGGER.DE

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